International geächtete Waffe
US-Streumunition spaltet die Anti-Putin-Front

US-Präsident Joe Biden möchte international geächtete Streumunition an die Ukraine liefern. Und spaltet damit den bisher so geeinten Westen.
Publiziert: 08.07.2023 um 19:41 Uhr
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Aktualisiert: 09.07.2023 um 15:39 Uhr
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Die USA wollen der Ukraine Streubomben schicken.
Foto: AFP
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

«Das ist brutal, das ist unmenschlich, und es ist ein Verstoss gegen internationales Recht.» Mit diesen Worten verurteilte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (64) letztes Jahr den Einsatz von Streumunition von russischen Truppen in der Ukraine. Denn Streubomben werden international geächtet – sie gefährden noch Jahre nach ihrem Einsatz die Zivilbevölkerung.

Am Freitag hat US-Präsident Joe Biden (80) die Lieferung der – laut Stoltenberg – brutalen, unmenschlichen Streubomben an die Ukraine genehmigt. Dieses Mal bleibt Kritik vom Nato-Chef aber aus. Schliesslich dürften die Nato-Mitgliedsstaaten selbst entscheiden, welche Waffen in die Ukraine geschickt werden. Und ausserdem: Die Ukraine verteidige sich mit dieser umstrittenen Waffe gegen einen Aggressor, der völkerrechtswidrig in ihr Land eingefallen sei.

Die Biden-Regierung hat sich alle Mühe gegeben, die Entscheidung zu rechtfertigen. Man wolle nur Zeit überbrücken, bis wieder genug herkömmliche Munition produziert sei. Ausserdem sei die Rate der Blindgänger bei der US-Streumunition sehr niedrig. Und überhaupt sei der Einsatz von Streumunition noch immer viel besser als ein Sieg Wladimir Putins (70). Colin Kahl (52), Unterstaatssekretär im US-Verteidigungsministerium, meinte: «Das Schlimmste, was Zivilisten in der Ukraine passieren kann, ist ein Sieg der russischen Armee.»

Ob das den Einsatz der Streubomben rechtfertigt? Diese Frage spaltet aktuell die bisher so vereinte Anti-Russland-Front. Denn das Streubomben-Ja aus dem Weissen Haus signalisiert einen Bruch mit den meisten Verbündeten: Ein 2010 in Kraft getretenes internationales Abkommen – das sogenannte Oslo-Übereinkommen – verbietet Herstellung, Lagerung, Einsatz und Weitergabe von Streumunition. Allerdings sind weder die USA noch die Ukraine dem Abkommen beigetreten.

Die westliche Einigkeit bröckelt

Grossbritannien hält an seiner Ablehnung von Streumunition fest. Das sagte Premierminister Rishi Sunak (43) am Samstag. «Das Vereinigte Königreich ist Unterzeichner einer Konvention, die Herstellung oder Nutzung von Streumunition untersagt – und wir raten von dem Einsatz ab», sagte Sunak dem Nachrichtensender Sky News.

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«Das Schlimmste, was Zivilisten in der Ukraine passieren kann, ist ein Sieg der russischen Armee.»
Colin Kahl, Unterstaatssekretär im US-Verteidigungsministerium
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Auch in Deutschland regt sich Widerstand. Unter anderem Sahra Wagenknecht (53), Linken-Politikerin und generell scharfe Kritikerin der Waffenlieferungen an die Ukraine, findet deutliche Worte: «Statt der Ukraine auch noch international geächtete Streumunition zu liefern, sollte sich der Westen endlich für einen Verhandlungsfrieden einsetzen und Minenräumgeräte liefern», schreibt sie auf Twitter. Die deutsche Bundesregierung signalisierte am Freitag allerdings Verständnis für die Pläne der US-Regierung.

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Der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan (46), betonte mit Blick auf eine Frage zu Deutschlands Haltung, dass es keine «Risse» in der Einheit der Nato gebe. «Ganz im Gegenteil: Wir glauben, dass es ein tiefes Verständnis innerhalb des Bündnisses gibt.» Die Reaktionen innerhalb des Bündnisses widersprechen Sullivan aber zumindest teilweise.

Spaniens Verteidigungsministerin Margarita Robles (66) macht deutlich, dass sie zwar «Ja» zur legitimen Verteidigung sagt, aber «Nein» zur Streumunition. Und auch Uno-Generalsekretär António Guterres (74) zeigt sich nicht erfreut über die Entscheidung. «Der Generalsekretär unterstützt die Konvention gegen Streubomben, die, wie Sie wissen, vor 15 Jahren verabschiedet wurde», sagte Guterres' Sprecher zu Journalisten. «Deshalb ist er dagegen, dass weiterhin Streumunition auf Schlachtfeldern eingesetzt wird.»

Ein Sieg mit unlauteren Mitteln?

Bidens Strategiewechsel scheint noch einen weiteren, beunruhigenderen Grund zu haben: Er offenbart, dass in Washington die Angst umgeht, dass Putin die Ukraine doch noch zermürben kann. Denn die ukrainische Gegenoffensive läuft auch einen Monat nach ihrem Beginn nicht nach Plan. Den ukrainischen Truppen fehlt es bereits seit Monaten an überlebenswichtiger Munition.

So gesehen ist es – aus militärischer Sicht – sinnvoll, die Ukraine mit solchen Waffen auszustatten. Doch sogar Parteikollegen Bidens wissen: Ein Sieg, der mit falschen Mitteln errungen wurde, ist nicht das ideale Szenario. «Ein Sieg der Ukraine darf nicht auf Kosten unserer amerikanischen Werte und damit der Demokratie insgesamt errungen werden», sagte die demokratische Kongressabgeordnete Chrissy Houlahan (56).

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