Norwegen schlägt einen neuen Kurs ein: Bei den Wahlen am Montag haben die Sozialdemokraten die Konservativen besiegt. Nach acht Jahren muss Ministerpräsidentin Erna Solberg (60) abtreten, neuer Regierungschef wird wohl der sozialdemokratische Parteichef Jonas Gahr Støre (61) in einer Koalition mit der Zentrumspartei und der Sozialistischen Linkspartei.
Dieser Kurswechsel wird Auswirkungen auf die industrielle und energietechnische Ausrichtung des Landes haben. Hat die konservative Regierung noch kurz vor der Corona-Pandemie neue Gebiete in der Arktis und der Barentssee für Ölbohrungen freigegeben, dürfte die Förderung von fossilen Brennstoffen nun beschränkt werden. Dieser Sektor beschert Norwegen grossen Reichtum sowie 200'000 Arbeitsplätze.
Produktion bis 2030 halbieren
Obwohl von den Linken gefordert, wird es keinen Ausstieg geben. Erik Førner (57), norwegischer Botschafter in Bern, sagt auf Anfrage zu Blick: «Wahrscheinlich ist mehr die Rede davon, dass die Suche nach neuen Vorkommnissen eingestellt und weiterhin die CO2-Emissionen reduziert werden.»
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Støre hatte während des Wahlkampfs von einer Halbierung der Gas- und Ölproduktion bis 2030 gesprochen. Zu seinen Plänen gehört auch eine massgeschneiderte CO2-Steuer: Autofahrer in der Stadt sollen tiefer in die Tasche greifen müssen als Personen auf dem Land, die auf den individuellen Verkehr angewiesen sind.
Die Erfahrungen der erlahmenden Gas- und Ölindustrie wollen die Norweger für die Zukunft nutzen. Erik Førner: «Diese errungenen Kompetenzen werden künftig auch eine wichtige Rolle spielen in Bezug auf erneuerbare Energien wie zum Beispiel bei Offshore-Windturbinen.»
Zusammenarbeit mit der Schweiz
Auch die Schweiz wird von Norwegens neuem Weg betroffen sein, und zwar bei «Carbon Capture and Storage» (CSS). Dies bedeutet Isolierung und Rückführung von Kohlendioxid, das bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen freigesetzt wird, in die Erde. Førner: «CCS und Wasserstoff sind zentral, damit die internationalen Klimaziele erreicht werden können. In diesen Bereichen findet aktuell eine Zusammenarbeit mit der Schweiz statt.»
Norwegen ist, was die Umwelt betrifft, ein paradoxes Land. 98 Prozent des Energiebedarfs stammen aus erneuerbaren Energien, mehr als 70 Prozent der neu zugelassenen Autos haben Elektroantrieb. Gleichzeitig ist Norwegen aber auch ein grosser Umweltsünder. Mit einer Förderung von zwei Millionen Barrel (318 Millionen Liter) Erdöl täglich gilt das Land als etwa siebtgrösster Gas- und 15. grösster Ölproduzent. Zudem geschieht auch der Abbau der Rohstoffe für die vielen Akkus mit einer grossen Umweltbelastung.