In einem Haus für betreutes Wohnen
88-Jährige sitzt fünf Wochen tot auf dem Sofa

Wochenlang vermodert der leblose Körper einer 88-Jährigen in einer betreuten Unterkunft in Niedersachsen – ohne bemerkt zu werden. Der Sohn erhebt Vorwürfe. Doch die Sache ist nicht so einfach.
Publiziert: 08.04.2024 um 17:13 Uhr
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Aktualisiert: 08.04.2024 um 17:14 Uhr
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Gisela S. wurde erst Wochen nach ihrem Tod gefunden.
Foto: Privat

Auf dem Tisch vor dem Sofa lag eine TV-Zeitschrift. Aufgeschlagen am 14. Januar. Mutmasslich der letzte Tag, an dem Gisela S.* (†88) noch lebte. Klar ist das nicht. Denn: Auf der Sterbeurkunde ist der Tag ihres Todes als Zeitraum angegeben. Datiert vom 14. Januar bis zum 16. Februar – dem Tag, als der leblose Körper der Seniorin endlich entdeckt wurde. S. könnte knapp fünf Wochen lang tot und unbemerkt auf ihrem Sofa gesessen haben. Laut Polizei führte Verwesungsgeruch, der aus ihrer Wohnung drang, zum Leichnam. «Wir wunderten uns alle im Haus, dass ihre Jalousie tagelang unten war – und glaubten, sie wäre im Krankenhaus», sagt eine Nachbarin zu «Bild».

Gisela S. litt an Demenz und lebte drei Jahre lang in einem Haus für betreutes Wohnen für Senioren in Niedersachsen. Um die 15 Wohnungen hatte sich früher das Deutsche Rote Kreuz (DRK) gekümmert. Doch: Offenbar war der Betreuungsvertrag per Ende Dezember 2023 gekündigt worden. Ein DRK-Sprecher gibt als Grund die mangelnde Nachfrage der Bewohnenden an: «Sie ging gegen null.»

Sohn erstattete Anzeige

Der Sohn von Gisela S. ist fassungslos: «Der Fall meiner Mutter zeigt, dass die Senioren nicht immer so gut behütet leben, wie die Angehörigen es glauben.» Weder das DRK noch die gesetzliche Betreuerin hätten nach seiner Mutter geschaut, prangert er an. Wegen unterlassener Hilfeleistung erstattete er Anzeige.

Doch ein Ermittlungsverfahren zum Tod der 88-Jährigen hat die Staatsanwaltschaft bereits wieder eingestellt, da kein Verdacht einer strafbaren Handlung vorliegt. Die Frau galt nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft als eigensinnig, problematisch und teils etwas verwirrt, wie die «Neue Osnabrücker Zeitung» berichtete. So habe sich die Seniorin nicht weiter von der zuständigen Pflegekraft betreuen lassen wollen. Stattdessen habe Gisela S. ausgeführt, sich selber einen neuen Pflegedienst zu suchen.

Sohn besuchte seine Mutter nie

Mit ihrem Sohn hatte Gisela S. mehrmals pro Jahr telefonisch Kontakt. Er leidet seit 25 Jahren unter Panikattacken und kann seine Wohnung nur mit grosser Mühe verlassen. Zuletzt telefonierten Mutter und Sohn an Weihnachten miteinander. Als er nichts mehr von ihr hörte, versuchte er sie im Februar dreimal vergeblich anzurufen. Zu «Bild» sagt er: «Als ich überlegte, die Polizei zu informieren, standen die Beamten schon vor meiner Tür.»

Gisela S. wurde auf ihren Wunsch hin in der Ostsee bestattet. (sam)

* Name bekannt 

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