Sie kamen als Hoffnungsträgerinnen für die Frauen und die Jungen: Im Sturm hatten die 2017 gewählte neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern (42) sowie die 2019 gewählte finnische Premierministerin Sanna Marin (37) weltweit die Herzen erobert. Sie wurden als die neue Generation von Politikern gefeiert, die nicht nur die Finanzzahlen vor Augen hatten, sondern einen Wohlfühlstaat schaffen wollten.
Doch am Donnerstag gab Jacinda Ardern nach fünfeinhalb Jahren ihren Rücktritt bekannt. Ihr Tank sei leer, sagte sie. Und auch Sanna Marin könnte schon in zehn Wochen von der Bildfläche verschwinden: Die Wahlen am 2. April drohen für sie zur Pleite zu werden.
Ihre Unterstützung schwindet seit 2021, als die konservative Sammlungspartei (Kok) die Kommunalwahlen gewonnen hat. Die Kok setzt sich vor allem für niedrigere Steuern und eine strikte Ausgabenpolitik ein.
Tanzvideo sorgt für Kritik
Die grosse Talfahrt aber begann, als die finnische Zeitung «Iltalehti» ein Video veröffentlichte, das eine ausgelassene Sanna Marin beim Tanzen zeigte (siehe oben). Auf der ganzen Welt wurde sie dafür gefeiert: US-Ex-First-Lady Hillary Clinton (75) und die demokratische US-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (33) posteten aus Solidarität Videos, die auch sie beim Tanzen zeigten.
Den Finnen geriet das Marin-Video aber in den falschen Hals. Sie straften ihre Regierungschefin mit schlechten Umfragewerten. Die neusten Umfragen zeigen, dass die Kok seit den letzten Wahlen um sechs Prozentpunkte auf 23 Prozent zugelegt hat und an der Spitze liegt. Auf Rang zwei liegen nun die rechten Basisfinnen (19,3 Prozent), die sogar Sanna Marins Sozialdemokraten (18,8 Prozent) überholt haben.
Lauri Nurmi (42) ist politischer Kommentator bei «Iltalehti». Zu Blick sagt er: «Ich halte Sanna Marins Chance auf einen Wahlsieg im April bei nur noch 20 Prozent.»
Sanna Marin sei als Vertreterin des linken Flügels der Sozialdemokraten mit viel Idealismus, aber auch Unerfahrenheit angetreten und habe Reformen in Aussicht gestellt. «Internationale Medien haben sie hochgejubelt, wie wir Finnen das bei einem neuen Regierungschef nie erlebt haben», sagt Nurmi.
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Vor eineinhalb Jahren habe sie aber ihren Stil geändert. Nurmi: «Aus der Sozialdemokratin wurde ein internationaler Superstar, der auf Instagram die neusten Bilder von sich postete – teilweise auch mit tiefem Ausschnitt – und die Bewunderung geniesst.»
Die nationalen Probleme aber seien immer mehr vernachlässigt worden. «Dieses Jahr steigen das Haushaltsdefizit auf acht bis zehn Milliarden Euro und die Staatsschulden auf 154 Milliarden Euro an», sagt Lauri Nurmi. Die Premierministerin könne nicht erklären, wie sie die Finanzen in den Griff bekommen wolle. Nurmi: «Die meisten Finnen haben das Vertrauen in sie verloren.»
Erwartungen nicht erfüllt
Dass gleich beide jungen Hoffnungsträgerinnen so schnell wieder von der Bildfläche verschwinden könnten, dafür hat der deutsche Politikpsychologe Thomas Kliche (65) eine Erklärung.
Kliche: «Weil sie sich Problemlösungen ohne echte Veränderungen wünschen, setzen viele Wähler auf zwei Politikertypen: Auf der einen Seite stehen Trump, Bolsonaro und Orban mit zerstörerischen Angeboten von Grössenwahn und Egoismus. Auf der anderen Seite treten stärker authentische Idealisten hervor, die ihre Gefühle zeigen, sich durch Transparenz ihrer Motive als vertrauenswürdig darstellen und fast vorbildhaft für die Menschen neue Wege suchen und die damit verbundene Zerrissenheit austragen.»
Die Wählenden möchten gerne zu jemandem aufblicken, dem sie dabei die konfliktreichen Veränderungen delegieren, um selbst in Bequemlichkeit weiterzuleben. Kliche: «Wenn dann sogar ‹so jemand› den nötigen Wandel nicht erwirken kann, kann man selbst erst recht nichts bewegen und darf träge weitermachen und zynisch wählen.»