«Wenn für fünf Minuten der Strom ausfällt, sterben sie»
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Gaza-Arzt fürchtet um Frühchen:«Wenn für fünf Minuten der Strom ausfällt, sterben sie»

Humanitäre Lage spitzt sich zu
Windpocken und Cholera bedrohen Kinder im Gazastreifen

Windpocken, Krätze und durch Wasser übertragene bakterielle Krankheiten bedrohen die Menschen im Gazastreifen. Die schlimme humanitäre Lage gefährdet die Gesundheit einer ohnehin schon geschwächten Bevölkerungsschicht. Kinder seien besonders betroffen, warnen Experten.
Publiziert: 23.10.2023 um 15:16 Uhr
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Aktualisiert: 25.10.2023 um 11:22 Uhr
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Im Gazastreifen grassieren vermehrt Krankheiten wie Cholera und Windpocken.
Foto: IMAGO/ZUMA Wire

Verunreinigtes Wasser, fehlendes Essen und ansteckende Krankheiten: Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist katastrophal. Nach dem überraschenden Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober, bei dem mehr als 1400 Menschen getötet wurden, ist die Wasserversorgung in der Enklave stark eingeschränkt. Nahrung und Treibstoff sind ebenfalls kaum mehr vorhanden.

Jetzt verbreiten sich zusätzlich Infektionskrankheiten in der Region. Das berichteten dort tätige Gesundheitsorganisationen, teilte das Uno-Nothilfebüro (Ocha) am Sonntag mit. Die Krankheiten können zu einer grossen Gefahr für die Zivilbevölkerung werden, wenn die Versorgung nicht bald wieder aufgenommen wird, heisst es dort. Experten warnen besonders vor folgenden Krankheiten:

1

Cholera

Adam Levine, Leiter der globalen Notfallmedizin an der Brown University in Providence (USA), sagt gegenüber NBC News: «Wir wissen, dass in Konflikten auf der ganzen Welt, sei es in Afrika, im Nahen Osten oder in Südasien, Infektionskrankheiten tatsächlich mehr Zivilisten töten als Bomben oder Kugeln.»

Ohne Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen sei die Bevölkerung Viren und Bakterien gegenüber schutzlos ausgeliefert, führt der Experte weiter aus. «Die Menschen sind gezwungen, verdorbenes Wasser zu trinken oder damit zu kochen.» Es sei wahrscheinlich, dass das Wasser so stark verunreinigt sei, dass es zu schweren Darmerkrankungen wie Cholera führt.

Am meisten gefährdet sind laut Ärzten Kinder, weil sie im Vergleich zu Erwachsenen über ein viel geringeres Blutvolumen verfügen. So dehydrieren sie schneller. Ein Ausbruch von Cholera oder anderen Durchfallerkrankungen kann sich besonders stark auf die Bevölkerung des Gazastreifens auswirken, da fast die Hälfte 18 Jahre und jünger ist.

2

Grippe und Covid-19

Neben Durchfallerkrankungen sind auch Atemwegsinfektionen auf dem Vormarsch. Die Menschen leben auf engstem Raum. Dies ermöglicht eine gegenseitige Ansteckung und schnelle Verbreitung. Ahmad Moghrabi, Leiter der plastischen Chirurgie im Nasser-Krankenhaus in der Stadt Chan Yunis im südlichen Gazastreifen beobachtet immer mehr Grippefälle. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis auch Covid-19-Fälle auftauchen würden. Testmöglichkeiten oder Impfungen gibt es jedoch keine, sagt Moghrabi. «Das ist derzeit unmöglich.»

3

Krätze

Enge Platzverhältnisse begünstigen auch einen Ausbruch von Krätze. Die Hautkrankheit führt zu juckenden Hautausschlägen und die wiederum zu Abszessen. Die Krankheit betrifft laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen der Welt, insbesondere Menschen, die in überfüllten und verarmten Gebieten leben. Lagerähnliche Zustände, wie sie derzeit im südlichen Gazastreifen herrschen, gehören ebenfalls zu den Risikofaktoren.

4

Windpocken

Auch die Windpocken sind im Gazastreifen bereits auf dem Vormarsch. Die akute, hoch ansteckende Krankheit verbreitet sich in grossen Menschenansammlungen besonders schnell. Windpocken führen zu einem juckenden Ausschlag, der meist auf der Kopfhaut und im Gesicht beginnt und sich dann weiter ausbreitet.

Die Übertragung erfolgt über Tröpfchen, Aerosole oder direkten Kontakt mit Atemsekreten und führt bei anfälligen Personen fast immer zu einer Erkrankung. Da Menschen unter prekären Lebensbedingungen vermehrt ein schwächeres Immunsystem aufweisen können, ist auch hier mit höheren Ausbruchsraten zu rechnen, je länger die momentane Situation andauert.

5

Masern

Bei Ärzten in der Region wächst zudem die Angst vor Masern. Denn: Laut der WHO tauchte das hochansteckende Virus 2020 zum ersten Mal wieder im Gazastreifen auf, da die Impfrate gesunken sei. Bis anhin sind zwar keine neuen Fälle aufgetaucht, es braucht laut den Medizinern jedoch nur einen Fall in einer überfüllten Unterkunft, und eine Ansteckungswelle könnte ausbrechen.

Zur Versorgung der notleidenden Zivilbevölkerung im Gazastreifen sind nach Ansicht von UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths pro Tag mindestens 100 Lastwagen mit Hilfsgütern nötig. Die Uno begrüsst den ersten Konvoi mit humanitärer Hilfe, der am Samstag in den unter Dauerbeschuss stehenden Gazastreifen fahren konnte. Dies sei aber nur ein Bruchteil dessen, was es braucht, um den Menschen nachhaltig zu helfen. (ene)


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