«Historische Parallelen zwischen Erdogan und Putin»
Wird der griechisch-türkische Konflikt zur neuen Ukraine?

Der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei um die Ägäis kocht erneut hoch und erinnert an die Zeit vor dem Ukraine-Krieg. Experte Maurus Reinkowski erklärt, worauf sich Europa gefasst machen muss.
Publiziert: 17.06.2022 um 21:24 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2022 um 10:51 Uhr
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Der türkische Präsident Erdogan spricht gegenüber Griechenland eine faktische Kriegsdrohung aus.
Foto: AFP
Chiara Schlenz

Während die Welt den Ukraine-Krieg verfolgt, schwelt ein weiterer Konflikt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (68) warf Griechenland vergangene Woche erneut vor, eine Reihe von Inseln in der Ägäis völkerrechtswidrig aufzurüsten. Athen solle «Träume, Äusserungen und Handlungen vermeiden, die es bedauern» würde. Solche Aktionen könnten «katastrophale Konsequenzen» haben. Erdogan stellte klar: «Ich spasse nicht.»

In Griechenland wird diese Ansage ganz klar als Kriegsdrohung aufgefasst, die Regierung scheint aber gelassen zu reagieren.

Denn: Völlig neu ist das türkische Säbelrasseln nicht, wie auch Maurus Reinkowski, Türkei-Experte und Professor für Islamwissenschaft an der Universität Basel, Blick erklärt. «Diese Konfrontationen begleiten uns schon seit Jahrzehnten.»

Verwandelt sich der kalte in einen heissen Konflikt?

Die Drohungen an Griechenland seien zugleich Signale an die EU und an die Nato, auch wenn beide Parteien seit 1952 Mitglieder des Militärbündnisses sind, so Reinkowski. Die Botschaft: «Wir sind schon längst kein handzahmes Land mehr und werden ohne Rücksicht auf Bindungen für unsere Interessen einstehen.»

Und Erdogan macht Ernst: Im Mai stellte er klar, dass er nicht mehr zu Treffen mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis (54) bereit sei. «Mitsotakis existiert für mich nicht mehr», sagte Erdogan.

Die Situation scheint sich zu verschärfen. Droht der kalte Konflikt, um die Ägäis-Inseln zu eskalieren? «Niemals nie sagen», meint Reinkowski. «Dennoch halte ich nach wie vor einen direkten Angriff der Türkei auf Griechenland für unwahrscheinlich.» Ein Kriegsszenario wolle er sich eigentlich gar nicht vorstellen. «Im Falle eines Krieges könnte die Türkei versuchen, zentrale, direkt vor der türkischen Küste gelegene Inseln zu besetzen.»

Historische Parallelen zwischen Putin und Erdogan

Seit beinahe hundert Jahren sind die Grenzen zwischen Griechenland und der Türkei gefestigt. Und seit beinahe hundert Jahren ist es der Türkei ein Dorn im Auge, dass die Dodekanes-Inselgruppe, zu der auch Rhodos sowie die Inseln Lesbos, Samos und Kos gehören, griechisches und nicht türkisches Staatsgebiet sind – obwohl sie direkt vor dem türkischen Festland liegen. Eins ist klar: Die Türkei will die Inseln haben und stellt umstrittene Gebietsansprüche.

Drohungen, Kontaktabbruch und Gebietsansprüche – Komponenten, die allzu sehr an die Tage und Wochen vor dem 24. Februar, dem Kriegsbeginn in der Ukraine, erinnern. Es gebe eindeutig Parallelen zwischen den beiden Konflikten, so Reinkowski.

Vor dem Angriff auf die Ukraine hätte man die Drohungen Russlands nur als Säbelrasseln verstanden, auch die Türkei macht momentan wieder lautstark auf ihr Anliegen aufmerksam. Die andere Parallele: historische Ansprüche. «Putin meint, die Ukraine gehöre Russland. Und es gibt eine lange Tradition der Auffassung in der Türkei, dass die östlichsten Ägäis-Inseln eigentlich zur Türkei gehören.»

«Die Welt ist instabiler geworden»

Überhaupt sei es gerade eine hitzige Zeit. «Die Welt ist insgesamt instabiler geworden. Wir müssen uns auf eine Vielzahl von Konfliktherden einstellen», wagt Reinkowski einen Blick in die Zukunft.

Der Teilrückzug der USA aus dem Nahen Osten, aber zugleich der «entsetzliche Fehler» der Invasion im Irak 2003; die «innenpolitische Schwäche der USA»; die hegemonialen Ansprüche Chinas in der Region Ostasien und Südostasien. Die aktuelle und westlich geprägte «Werteordnung» werde in Zukunft immer aktiver bestritten. «Auch wenn die Weltgemeinschaft sich angesichts der so kritischen Entwicklung unserer gemeinsamen ökologischen Lebensgrundlagen eigentlich sehr viel wichtigeren Aufgaben stellen müsste», sagt Reinkowski.

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