Es ist ein Krieg der Bilder. Und seit gestern Dienstag kursiert ein neues Bild aus Gaza im Internet, das die hoffnungslose Situation der fast zweieinhalb Millionen Menschen im abgeschotteten Küstenstreifen auf den Punkt bringt: Ein israelischer Panzer fährt absichtlich über das «I love Gaza»-Willkommensschild auf der palästinensischen Seite des Grenzübergangs in der Stadt Rafah. Gefilmt und ins Netz gestellt haben das Video die israelischen Streitkräfte selbst.
Kurz zuvor hatte Israel den Checkpoint im Süden des Gazastreifens besetzt. Der Grenzübergang, bislang das Haupttor für alle Hilfslieferungen nach Gaza, ist verbarrikadiert. Die Uno warnt, 600'000 Kinder in der Stadt Rafah seien unmittelbar von Hunger bedroht. Zeit, um mit Blick über die katastrophale Situation zu reden, hat keiner der angefragten Menschen vor Ort.
«Familien kämpfen, damit ihre Kinder nicht verhungern»
Fast anderthalb Millionen Palästinenser mussten in den vergangenen Wochen aus dem Norden und Zentrum des Gazastreifens nach Rafah fliehen. Gestern flatterte eine erneute Evakuierungsaufforderung per Flugblatt vom Himmel: «Raus aus Rafah», lautet die Devise. Doch wohin? «Die von Israel angegebene humanitäre Zone, in die die Menschen fliehen sollen, ist alles andere als humanitär», betont das Hilfswerk Save the Children auf Anfrage von Blick. «Es gibt in ganz Gaza keinen sicheren Zufluchtsort mehr.»
Es sei völlig unklar, wie man Hilfsgüter nach der Schliessung des Grenzübergangs überhaupt dorthin bringen solle. «Es fällt uns schwer, die Menschen in Gaza am Leben zu halten. Alle leiden unter extremem Hunger. Familien kämpfen darum, dass ihre Kinder nicht verhungern», sagt Save the Children.
Der Druck auf die israelische Regierung, von der Stürmung der Stadt Rafah abzusehen, steigt. Sogar US-Präsident Joe Biden (81) mahnt Israels Premierminister Benjamin Netanyahu (74) in aller Öffentlichkeit, keinen Fehler zu machen. Die USA halten mehr als 6000 Bomben, die sie als Teil eines militärischen Hilfspakets an Israel hätten ausliefern sollen, zurück.
Acht Millionen Mahlzeiten können nicht ausgeliefert werden
Hoffnung auf baldige Besserung gibt es für die Menschen in Gaza 214 Tage nach dem Terroranschlag der Hamas auf Israel und dem Gegenangriff der israelischen Streitkräfte derzeit kaum. Die Hilfsorganisation World Central Kitchen – bei einem gezielten israelischen Angriff Anfang April auf den klar als humanitäre Mission gekennzeichneten Hilfskonvoi wurden sieben Mitarbeitende getötet – will so schnell wie möglich nach Gaza zurückkehren. 276 Lastwagen mit acht Millionen Mahlzeiten stünden bereit, betonte José Andrés, Gründer der Organisation. Unklar aber bleibe, wie man die Hilfe überhaupt nach Gaza reinkriege.
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Auch den von Ägypten und Katar ausgearbeiteten Vorschlag für einen Waffenstillstand, den die palästinensische Hamas-Führung akzeptiert hat, wird vorerst keine Veränderung bringen. Der Vorschlag hätte unter anderem vorgesehen, dass die Hamas in drei Schritten alle lebenden Geiseln gegen eine Vielzahl palästinensischer Gefangener austauschen würde und dass sich Israel komplett aus Gaza zurückziehen soll. Israel lehnt das ab.
Einziger Hoffnungsschimmer bleibt der von den USA gebaute Improvisations-Hafen an der Küste Gazas. Er soll heute Mittwoch fertiggestellt werden und die zur Abwendung der Hungersnot dringend benötigte Hilfe nach Gaza bringen.