Joe Biden (78) ist gefallen. Auf dem Weg in die Air Force One am Freitag nach Atlanta stolperte der US-Präsident, verlor das Gleichgewicht – und knallte auf den Boden. Dass er wie eine Eins wieder stand und für die Kameras lächelte und winkte, war seinen Gegnern egal. Sie spotteten. Zu schwach fürs Amt? Zu alt? Gar krank?
Eine vorhersehbare Attacke. Der bissigste Kommentar zum präsidialen Fall kam denn auch von einer Demokratin auf Twitter: «Biden stolpert die Treppe hinauf. Denn er hat letzte Woche ein Gesetz unterschrieben, das die Kinderarmut um die Hälfte reduzieren könnte, und die Impfkampagne ist dem Zeitplan weit voraus.»
Am Donnerstag stellt sich Joe Biden den Fragen der Journalisten (18.15 Uhr Schweizer Zeit). Mehr als zwei Monate nach Amtsantritt! So lange hat keiner seiner Vorgänger mit seiner ersten richtigen Pressekonferenz gewartet. Biden kommt spät – aber mit vollen Händen.
In nur zwei Monaten hat er nicht nur eine Korrektur zum Kurs seines Vorgängers Donald Trump (74) hingelegt, sondern auch eigene Akzente gesetzt.
Das hat Biden in zwei Monaten erreicht
Biden hat die vielfältigste Regierungstruppe der Geschichte – 55 Prozent seines Kabinetts sind schwarz, 45 Prozent weiblich. Mit Pete Buttigieg (39) hat er den ersten offen Schwulen in seinem Minister-Team, mit Janet Yellen (74) die erste Finanzministerin und mit Deb Haaland (60) als Innenministerin die erste Indigene.
Er ist der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Weltklimavertrag wieder beigetreten, zeigt klare Kante gegen China und Russland, nannte Wladimir Putin gar «einen Killer» und schützt die «Dreamer», die Kinder illegaler Migranten. Am 18. März, Bidens 58. Amtstag, wurde in den USA bereits die 100-millionste Impfdosis verabreicht – mehr als 40 Tage vor seinem Ziel. Schneller als die USA impfen aktuell nur eine Handvoll Länder.
Bis zum 1. Mai will Biden jedem Amerikaner ein Impfangebot machen. Das Land der Freiheit könnte so im Sommer tatsächlich coronafrei sein.
Giga-Hilfspaket könnte Kinderarmut enorm senken
Sein 1,9-Billionen-Hilfspaket ist das zweitgrösste der Geschichte. Es beinhaltet unter anderem Barchecks in Höhe von 1400 US-Dollar pro Person, Mittel für Corona-Tests, die Impfkampagne, Schulöffnungen, Geld für klamme Bundesstaaten und Kommunen sowie zusätzliche Hilfen für Familien wie etwa ein Kindergeld.
Trumps Hilfspaket zu Beginn der Corona-Krise war zwar etwas grösser, doch Bidens dürfte effektiver sein. Statt an Unternehmen gehen die Hilfen viel direkter an die Menschen. Einer Schätzung der Columbia-Universität zufolge könnten die Massnahmen die Armutsquote in den USA um ein Drittel und die Kinderarmut sogar um mehr als die Hälfte senken.
Auch wenn Biden gerne ein parteiübergreifendes Paket geschnürt hätte: Am Ende brachte er seinen «American Rescue Plan» ohne die Republikaner durch den Kongress. Mit dem Giga-Hilfspaket will er in Hinblick auf die Halbzeitwahlen 2022 vor allem einen Fehler aus der Obama-Ära vermeiden. Dessen Hilfspaket fiel in der Finanzkrise zu klein aus, der Effekt verpuffte – und Obama verlor kurz darauf die Kongress-Mehrheit. Und auch das nächste Infrastruktur-Paket hat Biden schon in Planung.
109 Schusswaffentote in den USA – pro Tag
Doch jetzt muss er erstmal die Agenda frei räumen. Nach dem Amoklauf in Atlanta, wo am Dienstag vor einer Woche acht Menschen starben, und den Schüssen in einem Supermarkt in Colorado, wo es am Montag zehn Opfer gab, hat der Anti-Waffen-Kampf plötzlich Top-Priorität.
«Ich darf keine weitere Minute warten, geschweige denn eine Stunde, um vernünftige Schritte zu unternehmen, die in Zukunft Leben retten werden», sagte Biden mit Blick auf ein mögliches Verbot von Sturmgewehren sowie die Stärkung von Background-Checks beim Waffenkauf.
Das Problem drängt. Die Gesundheitsbehörde CDC verzeichnete in ihrer jüngsten Statistik aus dem Jahr 2018 insgesamt 39'740 Schusswaffentote in den USA – also etwa 109 Tote pro Tag. Die Angst ist gross, dass mit der Corona-Freiheit auch mehr Amokläufe zurückkommen. Das FBI schätzt die Terror-Gefahr durch weisse Täter höher ein als durch Islamisten.
Wie Obama wird Biden voraussichtlich scheitern
Schnellstmöglich will Biden die vom Repräsentantenhaus beschlossenen Anti-Waffen-Gesetze nun durch den Senat bekommen. Dafür bräuchte er 60 Stimmen – neun mehr, als die Demokraten haben. Analysten bezweifeln, dass Biden eine Mehrheit zusammenbekommt.
Der grösste Streitpunkt zwischen Demokraten und Republikanern: die Background-Checks. Ginge es nach den Demokraten, würden Schusswaffen nur noch bei lizenzierten Waffenhändlern und mit entsprechender Hintergrund-Überprüfung des Käufers über die Theke gehen. Die Republikaner wollen jedoch den Privatverkauf jedoch nicht einschränken.
Für Biden spricht, dass er als Senator bereits erfolgreich Anti-Waffen-Gesetze durchbekommen hat und dafür bekannt ist, parteiübergreifende Bündnisse zu schliessen. Dagegen, dass er genau das bei seinem Giga-Hilfspaket nicht geschafft hat. Gut möglich, dass er wie Obama 2013 scheitert.
Den USA droht eine neue Flüchtlingskrise
Und dann wäre da noch eine andere ungelöste politische Altlast. An der Grenze zu Mexiko sind seit Bidens Amtsantritt wieder Tausende Flüchtlinge unterwegs, die unter dem neuen Präsidenten auf ein willkommen freudigeres Amerika hoffen. Alle grossen Nachrichtensender sprechen bereits wieder von einer «Krise».
Auch hier muss Biden bei der Bewältigung aufpassen, dass er nicht an Boden verliert. Apropos Boden – was den Flugzeug-Stolperer angeht: Es gibt ein altes Video von Trump-Vize Mike Pence (61), wie er ebenfalls auf dem Weg in die Air Force One stolpert. Wie kommentierte es eine Twitter-Nutzerin so schön: Wohl nichts ist am Ende parteübergreifender als mörderische Flugzeugtreppen.
Blick TV überträgt die Biden-Pressekonferenz ab 18 Uhr live – mit Experten und Analysen im Studio.