Trotz harscher Schutzmassnahmen sind bislang fast 1,5 Millionen Menschen weltweit am Covid-19-Virus verstorben. Die Welt wurde überrascht von einem Virusausbruch, wie man ihn unlängst noch für ein Drehbuch aus Hollywood gehalten hätte. Wie aus China geleakte Dokumente jetzt nahelegen, waren die chinesischen Behörden vom Virusausbruch komplett überfordert. Sie versuchten die Krise zu verharmlosen – und versäumten es damit womöglich, dass der Rest der Welt rechtzeitig Massnahmen ergreifen und sich auf den neuartigen Erreger vorbereiten konnte.
Diese Vorwürfe werden in einer umfassenden, von CNN zusammengetragenen Dokumentation erhoben. Der Titel: «Die Wuhan-Akten: Durchgesickerte Dokumente offenbaren Chinas Fehlverhalten in der Anfangsphase von Covid-19.» Demnach hat der US-amerikanische Sender von Hinweisgebern Dokumente erhalten, deren Inhalte die chinesische Regierung bislang bestritt.
Die Dokumente zeichnen ein chaotisches Bild von der Frühphase des Virusausbruchs in China. Während China im Januar mit dem blitzschnellen Errichten von Notspitälern und dem Abschotten ganzer Städte, ja Provinzen, den Eindruck zu erwecken versuchte, dass die Lage unter Kontrolle sei, herrschte in der Realität offenbar ein ganz anderes Bild.
Systematische Irreführung der Öffentlichkeit
Nicht nur, dass China die offiziellen Fallzahlen beschönigte. Laut den durchgesickerten Dokumenten waren zum Beispiel am 17. Februar in Wuhan, dem mutmasslichen Epizentrum der Lungenseuche, offiziell 93 Todesfälle bestätigt worden. Tatsächlich waren es 196. An einem anderen Tag im Februar sprachen Chinas Behörden von insgesamt 2500 Infektionsfällen in der Provinz Hubei. Dabei waren es den Dokumenten zufolge nahezu 6000. Auch ein brüsker, 20-facher Anstieg von angeblichen Grippefällen im Dezember hatte die Behörden überfordert. Höchstwahrscheinlich, so der Bericht, handelte es sich dabei um die erste Covid-19-Welle, die noch nicht als solche erkannt werden konnte.
Die Dokumentation weist eine systematische Kette der öffentlichen Irreführung durch die chinesischen Behörden dar. Offen bleibt, ob auch eine transparente Informationspolitik der Chinesen es dem Rest der Welt erlaubt hätte, noch rechtzeitig nötige Massnahmen zu ergreifen. Es sei klar, dass China «Fehler gemacht» habe, sagt Yanzhong Huang vom renommierten New Yorker «Council on Foreign Relations». «Man kann niemals hundertprozentige Transparenz garantieren», so der Mediziner. «Es geht nicht nur um irgendeine absichtliche Vertuschung, sondern man ist auch durch die Technologie und andere Probleme mit einem neuartigen Virus eingeschränkt.»
Hätte eine offene Informationspolitik die Pandemie verhindern können?
Selbst wenn Peking absolut zeitnah und transparent über das Virus informiert hätte, es hätte die «Trump-Regierung nicht davon abhalten, den Ernst der Sache herunterzuspielen», sagt der Wissenschaftler. Es sei zu bezweifeln, dass auch der Rest der Welt die Zeichen der Zeit erkannt hätte. Yanzhong ist überzeugt, auch eine transparente Informationspolitik der Chinesen «hätte die Entwicklung zu einer Pandemie wahrscheinlich nicht aufgehalten».
China hat immer darauf bestanden, von Anbeginn transparent über die Krise informiert zu haben. Dabei unternehmen die Chinesen auch Anstrengungen, jegliche Schuld von sich zu weisen, Ursprungsort des Virus zu sein. Mit einer neuen Studie wollen die Chinesen Fakten vorlegen, dass das Virus schon vor dem Wuhan-Ausbruch auf anderen Kontinenten existierte – dass es nicht in Wuhan, sondern in Indien oder Bangladesch zur ersten Welle gekommen sei.