Von einem Schlag auf den anderen änderte sich das Leben eines 18-Jährigen. Innerhalb von Tagen verlor der eigentlich gesunde junge Mann die Fähigkeit, sich frei zu bewegen. Zudem sah er plötzlich alles doppelt. Ärzte gingen zunächst davon aus, er habe eine virale oder bakterielle Infektion. Dies, weil bei Tests der Rückenmarkflüssigkeit eine hohe Anzahl von Abwehrzellen gemessen wurde.
Doch die Mediziner lagen falsch. Die Symptome entpuppten sich als eine neue Krankheit, die bislang nicht erforscht wurde, wie es in einer Mitteilung heisst. Darauf kamen die Mediziner dank eines Bluttests. Dieser zeigte: Der 18-Jährige litt unter einer Entzündung des Kleinhirns, die rasant verlief. Und er war nicht der Einzige.
Autoantikörper attackieren Kleinhirn
Insgesamt wurde die Krankheit bei vier Patienten im Alter zwischen 18 und 34 Jahren entdeckt. «Die Betroffenen waren vor Ausbruch der Erkrankung selbstständig und gesund», betont Kurt-Wolfram Sühs, Oberarzt an der Klinik für Neurologie mit Klinischer Neurophysiologie der Medizinischen Hochschule Hannover.
Demnach handelt es sich bei der neuartigen Krankheit um eine zerebelläre Ataxie. Diese beschreibt eine neurologische Störung des Kleinhirns, welche sich von anderen Formen unterscheidet, indem sie durch einen bestimmten Autoantikörper hervorgerufen wird. Dieser greift die Zellen des Kleinhirns an und sorgt für eine schwere Entzündung.
Da das Kleinhirn unter anderem für die Bewegung und das Gleichgewicht zuständig ist, bringt die Entzündung entsprechende Symptome mit sich. Die Betroffenen litten unter ausgeprägten Gang-, Sprach- und Sehstörungen. Zudem zeigten MRT-Untersuchungen, dass ihr Kleinhirn deutlich an Substanz verlor.
Vielfältige Ursachen
Der Auslöser für die Krankheit ist noch unklar. Gemäss der Forscher könne die Schädigung sich schleichend über Jahre entwickeln. Ursachen könnten unter anderem in der Genetik liegen, aber auch Schlaganfälle und Tumore könnten zu der Krankheit führen.
Es gibt aber auch gute Nachrichten, wie die Neurologen mitteilen: «Nach einer Behandlung mit entzündungshemmenden Medikamenten und einer Immuntherapie mit dem Wirkstoff Rituximab, der seit einigen Jahren erfolgreich zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen eingesetzt wird, besserte sich der Gesundheitszustand bei drei der vier Betroffenen nachhaltig.»
Ziel sei aber, künftig eine gezieltere Therapieform zu entwickeln. Denn Sühs erklärt: «Bislang können wir die Autoimmunreaktion nur relativ ungezielt unterdrücken, indem wir beispielsweise per Blutwäsche die Autoantikörper aus dem Körper entfernen oder mit dem Wirkstoff Rituximab die B-Zellen des Immunsystems vernichten, die nach Ausreifung für die Bildung der Autoantikörper zuständig sind.»
Die Ergebnisse der Studie veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift «Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry». Die Mediziner wollen weitere Untersuchungen durchführen.