Ein Leben lang schuftete Giuliana R.* (†46) für andere. Kein Job war ihr zu schäbig. Und so klagte die gebürtige Süditalienerin auch nicht, als sie für einen sehr kleinen Lohn in St. Gallen Tag und Nacht die Kinder einer Ärztin hütet. Nie im Leben hätte die dreifache Mutter sich träumen lassen, eines Tages mit Prunk gefeiert zu werden. Doch nun passiert es. Giuliana R. erhält die höchste Auszeichnung, die ihr Heimatland zu vergeben hat: Den Orden des Sterns von Italien! Nur, erleben darf sie die grosse Ehre nicht. Giuliana R. ist tot. Erschlagen von einem irren Killer.
Es ist der 2. September, kurz nach Mittag. Giuliana B. und ihr Schützling werden auf der Strasse von einem jungen Mann verfolgt. Die Kinderbetreuerin wittert die grosse Gefahr. Sie schiebt das Kind in die Wohnung, wo auch das Geschwisterchen ist. Ebenfalls anwesend ist ein Nachbarsbub. Da wächst die dreifache Mutter über sich hinaus. Mutig stellt sich die Babysitterin dem Irren in den Weg. Dieser greift sich eine Bratpfanne und schlägt auf die wehrlose Frau ein. Er ist wie von Sinnen. Selbst als die Polizei anrückt, lässt er nicht von seinem blutüberströmten Opfer ab. Ein Beamter zückt die Pistole und streckt Steve B.* (†22) nieder (BLICK berichtete). Die Kinderbetreuerin erliegt Stunden später ihren schweren Verletzungen.
In ihrer Heimat wird Giuliana R. als Heldin zu Grabe getragen
Während in St. Gallen die Ermittlungen laufen, wird Giuliana R. in ihrer Heimat mit grosser Ehrfurcht zu Grabe getragen. Hundert Personen schliessen sich am 6. September im 1200-Seelen-Ort Palù bei Verona (I) ihrem Trauerzug an. Für die Italiener ist Giuliana eine Heldin, die selbstlos ihr eigenes Leben gab, um die Kinder ihrer Arbeitgeberin zu retten. Schon bald wird der Ruf wach: Giuliana verdiene eine Tapferkeits-Medaille!
Für eine Ehrung post mortem hatte sich der Präsident des Regionalrats von Kalabrien eingesetzt, von wo Giuliana R. einst stammte. Domenico Tallini (68) wandte sich dafür an die Schweizer Botschaft, aber auch an den eigenen Staat. Er forderte zudem finanzielle Unterstützung für ihre drei Kinder, denen Giuliana R. mit ihrer Arbeit in der Schweiz geholfen hat.
Italiens Aussenminister gibt die Auszeichnung bekannt
Drei Wochen nach der Heldentat in der Speicherstrasse ist es soweit. Kein Geringerer als Italiens Aussenminister Luigi Di Maio (34) gibt bekannt: Giuliana R. erhält für ihre Heldentat die höchste Auszeichnung der Republik: Das Grosse Ehrenkreuz, den Orden des Sterns von Italien. Die Ehrung sei eine unmittelbare Geste, so der Fünf-Sterne-Politiker. «Doch keine noch so hohe Auszeichnung kann die Schmerzen des Verlustes mildern», setzt Di Maio hinzu.
In einem Schreiben an Tallini unterstreicht die Schweizer Botschafterin in Rom, die Anteilnahme der Schweiz – auch im Namen des Eidgenössischen Departements für Auswärtige Angelegenheit. «Das tragische Schicksal von Giuliana R. hat unser Land sehr mitgenommen und berührt.»
*Namen geändert