Gesundheitszustand könnte sich massiv verschlechtert haben – Angehörige bangen um verschollenen Nawalny
«Jetzt ist alles möglich»

Zuerst Giftanschlag, dann Straflager: Der Kreml geht mit Kritiker Alexei Nawalny nicht zimperlich um. Jetzt fehlt von ihm jedes Lebenszeichen. Sein enger Freund Wladimir Aschurkow verrät Blick, was passiert sein könnte.
Publiziert: 13.12.2023 um 18:30 Uhr
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Aktualisiert: 14.12.2023 um 14:04 Uhr
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Guido FelderAusland-Redaktor

Wo ist Alexei Nawalny (47)? Seit einer Woche gibt es kein Lebenszeichen mehr von einem der grössten und auch mutigsten Putin-Kritiker, auf den 2020 ein Giftanschlag verübt wurde und der nach seiner Rückkehr nach Russland zu einer langjährigen Strafe im Straflager verurteilt worden war.

«Wir sind in grosser Sorge», sagt Wladimir Aschurkow (51), enger Freund Nawalnys und langjähriger Verbündeter, gegenüber Blick am Telefon. Für ihn kommen drei Szenarien infrage:

  • Nawalny könnte in ein Straflager verlegt worden sein, was in Russland mehrere Wochen dauere. «Das wäre das beste Szenario», sagt Aschurkow.

  • Nawalny könnte nach Moskau gebracht worden sein. Aschurkow: «Wir haben gehört, dass es möglicherweise einen weiteren Prozess gegen ihn wegen einer angeblich kriminellen Tat geben könnte.»

  • Nawalnys Gesundheitszustand könnte sich dermassen verschlechtert haben, dass sich die Behörden nicht getrauten, dies zu kommunizieren. «Jetzt ist alles möglich», meint Aschurkow.

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Gerichtsanhörung via Video-Schaltung: Alexei Nawalny muss bis 2038 im Gefängnis bleiben.
Foto: IMAGO/SNA

Das letzte Lebenszeichen von Nawalny gab es am Dienstag vergangener Woche, als sein Anwalt ihm im Gefängnis seinen täglichen Besuch abstattete. «Als er am Mittwoch wieder zu Nawalny ging, wurde er abgewiesen und am Montag dieser Woche informiert, dass der Gefangene nicht anwesend sei.»

Keine Medikamente, kein Zahnarzt

Nawalny erlebe im Gefängnis eine Behandlung, die mit Folter zu vergleichen sei, sagt Aschurkow. «Er braucht wegen seiner Vergiftung Medikamente und sollte seit Monaten zum Zahnarzt, was ihm aber verweigert wird.» Auch dürfe er keine Pakete mit Lebensmitteln entgegennehmen, die er sich als Ergänzung zum miserablen Gefängnisessen so sehr wünsche. Zudem wurde ein vorübergehend verwahrloster, wohl mit einer ansteckenden Krankheit infizierter Mann in seiner Zelle einquartiert.

Im Herbst ist Nawalny aus fadenscheinigen Gründen wieder in eine zwei auf drei Meter grosse Isolationszelle verlegt worden.

Die Ungewissheit darüber, wo er ist und wie es ihm geht, sei vor allem für Nawalnys Familie eine Tortur. Seine Frau Julia (47) habe ihn seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine nicht mehr besuchen dürfen. Auch seine Eltern (76/69) blitzten immer wieder ab. Aschurkow: «Erst vergangene Woche stand seine Mutter vor der Gefängnispforte, musste aber umkehren, ohne ihren Sohn gesehen zu haben.»

Flucht nach London

Aschurkow lebt mit seiner Frau und drei schulpflichtigen Kindern seit 2014 in London, wo er politisches Asyl erhalten hat. Er war aus Russland geflohen, nachdem ihn die russischen Behörden 2013 wegen angeblichen Missbrauchs von Geldern für Nawalnys Bürgermeisterkampagne angeklagt hatten. «Dieser Vorwurf war klar politisch motiviert. Weder Spender noch Nawalny selber haben einen Missbrauch festgestellt», sagt Aschurkow.

Aschurkow verehrt seinen berühmten Freund. «Er wurde von einem blutrünstigen Tyrannen vergiftet, und dennoch kehrte er nach Russland zurück. Er ist für mich ein Held wie aus den griechischen Sagen.»

Der Putin-Kritiker Nawalny war am 20. August 2020 mit dem Nervengift Nowitschok – vermutlich durch Auftragen auf die Unterwäsche – vergiftet worden. Als er im Flieger von Tomsk nach Moskau unterwegs war, brach Nawalny zusammen, worauf der Pilot eine Notlandung einleitete. Die damalige deutsche Kanzlerin Angela Merkel (69) setzte sich dafür ein, dass Nawalny in Berlin gepflegt wurde. Als er wieder bei Kräften war, flog er in seine Heimat zurück, wo er sofort verhaftet und zu Straflager verurteilt wurde.

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