Wladimir Aschurkow über Freund Nawalny
Tuberkulose-Anschlag auf Putins Giftopfer

Ein Dokumentarfilm über Putins Giftopfer Alexei Nawalny hat einen Oscar gewonnen. Im Blick erzählt sein Freund Wladimir Aschurkow, wie der Kreml-Gegner im Straflager leidet und was er sich vom Film erhofft.
Publiziert: 25.03.2023 um 17:11 Uhr
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Alexei Nawalny – hier 2020 mit Besuch von seiner Frau Julia und seinen Kindern Zahar und Daria – wurde nach dem Giftanschlag in der Berliner Charité gepflegt.
Foto: keystone-sda.ch
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Guido FelderAusland-Redaktor

Der durch den russischen Geheimdienst vergiftete Alexei Nawalny (46) ist nicht nur der berühmteste politische Häftling der Welt, seit kurzem ist er auch Hollywood-Star. Der Film «Nawalny» des kanadischen Regisseurs Daniel Roher (30) wurde bei der 95. Oscar-Verleihung am 13. März als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. «Ich möchte diesen Preis Alexei Nawalny und allen politischen Gefangenen der Welt widmen», sagte Roher bei seiner Dankesrede.

Der Putin-Kritiker war am 20. August 2020 mit dem Nervengift Nowitschok – vermutlich durch Auftragen auf die Unterwäsche – vergiftet worden. Als er im Flieger von Tomsk nach Moskau unterwegs war, brach Nawalny zusammen, worauf der Pilot eine Notlandung einleitete. Die damalige deutsche Kanzlerin Angela Merkel (68) setzte sich dafür ein, dass Nawalny in Berlin gepflegt wurde. Als er wieder bei Kräften war, flog er in seine Heimat zurück, wo er sofort verhaftet und zu neun Jahren Straflager verurteilt wurde.

Druck und Folter

Im Straflager, rund 200 Kilometer östlich von Moskau, erlebt Nawalny seither die Hölle. Das sagt Wladimir Aschurkow (51), enger Freund Nawalnys und Vorstandsmitglied in dessen Stiftung für Korruptionsbekämpfung, in einem Videocall mit Blick. Aschurkow: «Druck und Folter sind in russischen Gefängnissen an der Tagesordnung.»

Seit Januar lebe Nawalny meistens in Einzelhaft in einer Zelle, die nur gerade drei auf zwei Meter gross sei. «Er spürt immer noch die Auswirkungen der Vergiftung», berichtet Aschurkow. Während seiner Haft habe man ihn mit Covid- und Tuberkulose-Infizierten zusammengebracht. Aschurkow ist davon überzeugt, dass dies bewusst passiert sei, um ihn anzustecken.

Handschuhe nähen

Inzwischen gehe es ihm den Umständen entsprechend aber nicht schlecht. «Als Erziehungsmassnahme muss er stundenlang nähen – so unter anderem Arbeitshandschuhe», sagt Aschurkow. Er habe seinen Freund 2020 das letzte Mal gesehen. Seither stünden sie über ein Nachrichtensystem in Kontakt, das aber von den Gefängnisbehörden zensiert werde.

Besuchen könne man Nawalny – abgesehen von seinem Anwalt – in Einzelhaft nicht. Selbst seine engen Verwandten hätten keinen Zugang, sagte seine Frau Julia Nawalnaja (46) in einem Interview mit dem «Spiegel». Telefoniert habe sie mit ihm vor einem Jahr. Und sie beklagt die mangelhafte Gesundheitsversorgung. «Er ist andauernd gefährdet, weil er in den Händen jener ist, die versucht haben, ihn mit Gift zu töten.»

In den vergangenen Wochen sind mehrere russische Oligarchen und dem Kreml nahe stehende Personen auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen. So gab es Berichte über eine Putin-Vertraute, die aus dem 16. Stock in den Tod stürzte, über angebliche Suizide und einen Anschlag mit Krötengift. Zu diesen Fällen will sich Aschurkow nicht äussern. «Ich will nicht spekulieren», sagt er. «Aber es gibt keinen Zweifel darüber, dass die russischen Sicherheitssysteme in Russland und andern Teilen der Welt Mordanschläge verüben können.»

Wie ein griechischer Held

Aschurkow lebt mit seiner Frau und drei schulpflichtigen Kindern seit 2014 in London, wo er politisches Asyl erhalten hat. Er war aus Russland geflohen, nachdem ihn die russischen Behörden 2013 wegen angeblichen Missbrauchs von Geldern für Nawalnys Bürgermeisterkampagne angeklagt hatten. «Dieser Vorwurf war klar politisch motiviert. Weder Spender noch Nawalny selber haben einen Missbrauch festgestellt», sagt Aschurkow.

Aschurkow verehrt seinen berühmten Freund. «Er wurde von einem blutrünstigen Tyrannen vergiftet, und dennoch kehrte er nach Russland zurück. Er ist für mich ein Held wie aus den griechischen Sagen.» Der mit einem Oscar ausgezeichnete Dokumentarfilm sorge dafür, dass Nawalnys Schicksal weiterhin präsent bleibe. «Und er vermindert auch die Chance, dass Putin meinen Freund eliminiert», sagt Aschurkow hoffnungsvoll.

Als er 2014 nach Grossbritannien floh, rechnete Aschurkow mit einem Aufenthalt von ein paar Monaten. «Jetzt ist es leider viel länger geworden», sagt er. Doch seine Hoffnung ist nicht gestorben. «Ich denke, dass ich in zwei, drei Jahren nach Russland zurückkehren werde – sobald in meiner Heimat politische Veränderungen eingeleitet werden.»

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