Er flüchtete, tarnte sich als orthodoxer Priester und spionierte jahrelang für den russischen Geheimdienst: Neue internationale Recherchen legen Ex-Wirecard Manager Jan Marsalek (43) kriminelle Aktivitäten nahe. Die Vorwürfe gegen den Österreicher wiegen schwer.
Beim Wirecard-Skandal handelt es sich um einen der grössten Wirtschaftsskandale Deutschlands. Im Sommer 2020 riss ein milliardenschwerer Betrugsfall Wirecard in die Tiefe. Der Vorstand des Finanzdienstleisters setzte sich nach der Pleite nach Russland ab. Seitdem wird weltweit nach ihm gefahndet.
Identität von orthodoxem Priester angenommen
Recherchen von ZDF, dem «Spiegel», «Standard» und der russischen Investigativplattform «Insider» zeigen jetzt: Marsalek soll seit 2020 als orthodoxer Priester getarnt in Russland gelebt haben. Als Priester soll Marsalek den Namen «Konstantin Bajazow» getragen haben. In der russischen Grossstadt Lipezk lebt tatsächlich ein Priester mit dem Namen Konstantin Bajazow. Laut ZDF frontal sind Marsalek und der Priester in einem ähnlichen Alter und sehen sich ziemlich ähnlich. Offenbar nahm er dessen Identität an. Nachforschungen in einer russischen Passdatenbank ergaben zudem, dass die Passakte des Priesters im September 2020 geändert und der Pass mit einer neuen Nummer versehen wurde – das Dokument wurde also mutmasslich gefälscht.
Laut den Berichten war Marsalek schon jahrelang in russische Spionagenetzwerke integriert. Doch wie trat er mit den Geheimdiensten in Kontakt? 2014 soll Marsalek Stanislaw Petlinski kennengelernt haben, einen ehemaligen Mitarbeiter der Moskauer Präsidialverwaltung mit besten Kontakten zum russischen Sicherheitsapparat.
War Marsalek ein Sicherheitsrisiko für Wirecard?
Gegenüber dem «Spiegel» gibt Petlinski an, Marsalek mit mehreren russischen Entscheidungsträgern bekannt gemacht zu haben. Er glaubt jedoch nicht, dass Marsalek für russische Geheimdienste tätig sei. Aber: «Er ist besessen von der Spionagewelt.»
2018 soll Marsalek mehrmals Kontakt mit Männern gehabt haben, die früher für den österreichischen Verfassungsschutz tätig waren. Sie sollen Marsalek mit Informationen über dem Kreml unliebsame Personen beliefert haben – beispielsweise Journalisten. Sonderermittler des österreichischen Verfassungsschutzes werfen den Männern vor, für Marsalek spioniert zu haben. «Die intensiven Ermittlungen erhärten den Tatverdacht und weisen auf ein in Österreich bestens etabliertes, nachrichtendienstlich agierendes Netzwerk um den weiterhin flüchtigen österreichischen Staatsbürger Jan Marsalek hin», schreiben die Sonderermittler.
Sicherheitskreise äussern nach den neusten Entwicklungen die Sorge, dass Wirecard-Daten an ausländische Dienste geflossen sein könnten.