Der russische Blitzkrieg in der Ukraine ist gescheitert. Die Invasion dauert an. Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen mit massivem Widerstand gegen das russische Militär. Dieses musste bisher einige Verluste hinnehmen.
Nach Angaben der russischen Regierung sind bis Donnerstagabend 498 russische Soldaten getötet und 1597 verletzt worden. Ein Rückschlag für Wladimir Putin (69). Der Kreml-Chef schäume vor Wut, twitterte Riho Terras (54), ehemaliger Oberbefehlshaber der estnischen Streitkräfte.
Mit der stockenden Invasion stellt sich die Frage, ob Putin den Rückhalt der russischen Elite und Bevölkerung verliert – und gar gestürzt werden könnte. Denn die Sanktionen aus dem Westen schwächen die russische Wirtschaft. Somit wird es für Putin immer schwieriger, die ranghöchsten Mitglieder der Gesellschaft, abgesehen von seinen engsten Verbündeten, auf seiner Seite zu halten.
«Geschäftswelt wendet sich von Putin ab»
Laut Politikwissenschaftler Volker Weichsel kippt die Stimmung in Russland schon jetzt – sogar unter den Oligarchen: «Die gesamte Geschäftswelt, die über zwei Jahrzehnte von dem Regime profitiert hat, wendet sich von Putin ab», sagt er in einem Interview mit dem «Saarländischen Rundfunk». Doch es würden sich nur die wenigsten trauen, öffentlich zu ihrer Meinung zu stehen.
In Moskau herrsche die schiere Angst wegen der blanken Diktatur. «Es besteht ein kleiner Funken Hoffnung, dass Putin durch eine innere Revolte gestürzt wird», so Weichsel weiter. Doch das sei nur möglich, wenn die Ukraine weiter durchhalte und Blutvergiessen auf russischer Seite verursache. Dann könnten die Risse in Moskau grösser und ein Sturz Putins wahrscheinlicher werden.
Auch US-Historiker Aaron Aster hält das für möglich. «Es wird eine Meuterei und ein interner Zusammenbruch sein, der Putins Regime zu Fall bringen wird», schreibt er auf Twitter.
Mehrheit informiert sich über die staatlich gelenkten Medien
Der Kreml verkauft den Krieg der eigenen Bevölkerung als Friedensmission. Der Einsatz soll dem Schutz der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine dienen.
Putin gibt vor, die Ukraine «entnazifizieren» und «demilitarisieren» zu wollen. In seiner Rede zur Ankündigung des Einmarschs sprach er dem Land zudem grundsätzlich das Recht auf eine eigene Staatlichkeit ab und bezeichnete es als historisch «untrennbar» verbunden mit Russland.
Ob die Menschen im Land diese Version glauben, ist laut dem Schweizer Politexperte Erich Gysling aber schwierig einzuschätzen. «Die grosse Mehrheit im Land informiert sich hauptsächlich über die staatlich gelenkten Medien. Und diese führen einen Propaganda-Krieg», sagt er zu Blick TV.
Bilder von Antikriegsdemonstrationen in diversen russischen Städten deuten daraufhin, dass sich in der Bevölkerung Unmut gegenüber der russischen Invasion in der Ukraine breitmacht.
Proteste bedeuten nicht gleich grossen Widerstand
Proteste gegen den Krieg sind in Russland offiziell verboten. Dennoch gab es in den vergangenen Tagen Antikriegskundgebungen in vielen russischen Städten. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation OVD-Info wurden dabei 6800 Menschen festgenommen.
Die Proteste würden aber nicht unbedingt den grossen Widerstand bedeuten, sagt Gysling. Denn ein paar tausend Menschen seien nichts im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung Russlands. Das Land zählt zirka 144 Millionen Einwohner.
Mit seiner Kriegsentscheidung hat Putin offenbar auch seine eigenen Soldaten getäuscht. Viele Armeeangehörige wussten bis zum Schluss nicht, wohin ihr Einsatz führen sollte, wie die «Frankfurter Allgemeine» berichtet. Demnach ist es fraglich, wie viele Soldaten hinter Putin stehen.
Offizielle Ermittlungen gegen Putin
Am Donnerstag hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in der Ukraine aufgenommen. Je nach Tatbestand können Einzelpersonen auf allen Ebenen verurteilt werden – vom Soldaten bis hin zu Staatsoberhäuptern, in diesem Fall also Putin.
Bei den Ermittlungen geht es grundsätzlich darum, herauszufinden, ob Kriegsverbrechen begangen wurden – und von wem. Dafür werden nun Beweismittel gesammelt.
Russland erkennt den IStGH übrigens nicht an. Die Ukraine ist zwar ebenfalls kein Vertragsstaat, hat aber die Zuständigkeit des Gerichts zu möglichen Verbrechen auf seinem Grundgebiet seit 2013 in einer Erklärung anerkannt.