Stahlblaue Augen, schöne Frauen, wilde Verfolgungsjagden. Und jede Menge toter Schurken. Der russische TV-Superheld aus der 14-teiligen Spionage-Serie «DDR» ist eine Art russischer James Bond. Wie sein britisches Vorbild kämpft auch der furchtlose Alexander Netschajew im Auftrag Ihrer Majestät. Diesmal ist die «Majestät» aber keine Queen, sondern Wladimir Putin (71). Denn der Politthriller zählt zu Grossprojekten der Propaganda-Maschinerie des Kremls. Ziel ist es, so viele Wähler wie möglich vom 15. bis 17. März 2024 an die Urnen zu locken.
Der Russen-Bond ist aber nur ein Propagandaprojekt von vielen. Putin überlässt vor den Wahlen nichts dem Zufall. Das belegen Dokumente aus der russischen Präsidialverwaltung, die dem ZDF und dem «Spiegel» zugespielt wurden: Tabellen, Dokumente und Budgets von 2020 bis Ende 2023. Die Kreml-Leaks zeigen einen seltenen Blick hinter die Mauern des Kremls. Und dort zeigt sich: Auch der scheinbar allmächtige Autokrat Putin kocht nur mit Wasser. Und muss um die Gunst seines Volkes kämpfen.
Kreml-Leaks entlarven Putins Propaganda-Maschinerie
Wie viel Wladimir Putin sich die Wahllaune seines Volkes kosten lässt, geht aus den Geheimdokumenten des inneren Machtzirkels hervor. Bis zu einer Milliarde Franken will der Kreml in die Gehirnwäsche, in die digitale Überwachung, aber auch in die Jugendbildungsprojekte, besonders in den besetzten Regionen der Ukraine, stecken.
Fast die Hälfte der Mittel zielt auf die Präsidentschaftswahl. 177 Mio. Franken erhält allein das Institut für Internetentwicklung (IRI), das für «die geistige und moralische Bildung junger Menschen» zuständig ist. Produktionen wie die Serie «DDR» sollen beispielsweise das Image des Staatssicherheitsdienstes aufpolieren. In den Geheimpapieren befindet sich auch eine Liste sowohl von «Kreativen Inhalten für die Wahlen» als auch von Filmen, die bis März 2024 produziert werden. Meist wurden die Projekte von Russlands Ministerpräsidenten Michail Mischustin (57) oder von Wladimir Putin persönlich entschieden.
Wladimir Putin tritt zum fünften Mal zur Wahl an. Er hat im Laufe der Jahre jede Opposition eliminiert, jeden Widerstand gebrochen und er hat freie Bahn für Wahlmanipulationen. Es gibt niemanden, der Wahlergebnisse anzweifeln würde. Warum also dieser kostspielige Aufwand, um Wähler zu gewinnen?
Wahlbeteiligung darf nicht unter 65 Prozent sinken
Die Wählerschaft sei sehr wichtig, sagt der österreichische Russland-Experte Gerhard Mangott (57) zu Blick. «Sinkt die Wahlbeteiligung unter 65 Prozent, könnte dies als steigende Ablehnung des Regimes interpretiert werden», so der Politik-Professor an der Universität Innsbruck. Putin strebe sogar eine Wahlbeteiligung von 80 Prozent an. Wer Putin wähle, stimme schliesslich auch dem Krieg zu.
«Die übliche Palette an Wahlmanipulationen, wie das Karussell-Wählen (Personen stimmen in mehreren Wahllokalen ab) oder dem Einwurf von Wahlzetteln auf die Namen längst Verstorbener, wird es sicher auch in diesem Jahr geben», sagt Mangott weiter. Bemerkenswert sei, dass in diesem März an drei Tagen statt nur an einem Tag gewählt würde. Das gäbe dem Regime mehr Zeit, die Ergebnisse «nachzubessern». Auch die Online-Abstimmung würde für Manipulationen genutzt. «Dennoch, die Wahlmanipulationen sind begrenzt, daher braucht Putin viele reale Wähler, die für ihn stimmen».
Ähnlich denkt der britische Historiker Mark Galeotti (59). «In gewisser Weise wird versucht, die Wahlmanipulation an den eigentlichen Wahltagen zu minimieren», so der Experte für russische Sicherheitspolitik im «Spiegel». «Es geht darum, die Menschen bereits im Vorfeld zu konditionieren, um die Kluft zwischen dem tatsächlichen und dem verkündeten Wahlergebnis so gering wie möglich zu halten». Man wolle auf keinen Fall, den Verdacht wecken, das politische System könne manipuliert worden sein, so Galeotti weiter. Das habe vor zwölf Jahren zu Massendemonstrationen gegen das Kreml-Regime geführt.