Michail R.* (32) ist Soldat in der 90. Panzerdivision Witebsk-Nowgorod in der russischen Armee, kämpft im Ukraine-Krieg – und wurde in der Ukraine wegen Vergewaltigung angeklagt. Am heutigen Donnerstag soll nun der Prozess stattfinden, Michail R. ist allerdings nicht dabei und befindet sich auch nicht in ukrainischer Gefangenschaft. Es ist der erste Prozess dieser Art, seit der Krieg begonnen hat.
Er soll am 9. März einen Zivilisten aus Bohdaniwka, nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew, aus nächster Nähe erschossen und dann dessen Ehefrau vergewaltigt haben. Michail R. und ein weiterer Soldat, dessen Identität nicht ermittelt werden konnte, sollen nach der Gräueltat noch zweimal in das Dorf zurückgekehrt sein, um die Frau erneut zu vergewaltigen.
Viele Verdächtige halten sich in Russland auf
Ein Staatsanwalt, der sich mit Fällen von sexueller Gewalt befasst, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass bis zu 50 solcher Verbrechen untersucht würden, dass aber die Zahl der Fälle sexueller Gewalt durch russische Soldaten seit dem 24. Februar wahrscheinlich wesentlich höher sei.
Beamte, Aktivisten und Ärzte haben erklärt, dass viele Überlebende Angst haben oder nicht bereit sind, ihre Fälle bei der Polizei und den Staatsanwälten vorzutragen, da sie Repressalien seitens Russlands und eine Stigmatisierung durch ihre ukrainischen Nachbarn befürchten.
Das russische Verteidigungsministerium reagierte nicht sofort auf eine Anfrage von Reuters und auch der Soldat konnte nicht erreicht werden. Die Regierung in Moskau hat die Vorwürfe von Kriegsverbrechen zurückgewiesen. Die Ukraine untersucht nach eigenen Angaben Tausende von möglichen Kriegsverbrechen, die während der russischen Invasion, die am 24. Februar begann, begangen wurden.
Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa (43) sagte gegenüber Reuters, dass sich viele der Verdächtigen in Russland befänden, einige jedoch von der Ukraine als Kriegsgefangene gefangen genommen worden seien. «Wir wissen nicht, wo Michail R. jetzt ist - vielleicht kämpft er noch, vielleicht ist er in Russland, vielleicht ist er tot. Wir wissen es nicht, aber wir wollen ihn in Abweseneheit anklagen», sagte sie, als der Prozess angekündigt wurde.
Bereits letzten Monat verurteilte ein Gericht in Kiew Wadim S.* (21), einen russischen Soldaten, der wegen der Tötung eines Zivilisten gefangen genommen worden war, zu lebenslanger Haft. (chs)
*Name bekannt