Finnischer Nato-Beitritt
«Wladimir Putin soll in den Spiegel schauen»

Falls Finnland in die Nato eintritt, dürfte dies die Sicherheitslage an der Baltischen See stark verändern, ist ein Politikexperte der ETH überzeugt. Angst vor militärischen Reaktionen Russlands müsse Finnland nicht haben, allenfalls gebe es Drohungen und Schikanen.
Publiziert: 14.05.2022 um 15:26 Uhr
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Finnland will in die Nato. Das haben Premierministerin Sanna Marin ...
Foto: AFP

Finnland will so schnell wie möglich in die Nato. Das gaben diese Woche Präsident Sauli Niinistö (73) und Ministerpräsidentin Sanna Marin (36) bekannt. Ein historischer Schritt für das Land – Finnland ist seit dem Zweiten Weltkrieg neutral gewesen. Und ein herber Schlag für Wladimir Putin (69).

Viele Experten gehen davon aus, dass eines seiner Ziele der Ukraine-Invasion war, den Westen zu entzweien. Das Gegenteil ist geschehen, die Nato-Partner stehen seit Beginn geeint gegen Russland und nun dürfte das Militärbündnis sogar noch stärker werden. Und noch näher an die russischen Grenzen rücken. Dabei waren vor dem Krieg noch ein Grossteil der Finnen gegen einen Nato-Beitritt, unterdessen liegen die Zustimmungswerte aber bei 75 bis 80 Prozent.

«Weil Russland bereit ist, Nachbarländer zu überfallen, und Finnland mit Russland eine 1340 Kilometer lange Grenze teilt, ist der Nato-Beitritt eine pragmatische Lösung für Finnland», sagt Eemeli Isoaho, selber Finne und Politikexperte an der ETH Zürich, dem «Tages-Anzeiger». Er analysiert im Interview, welche Folgen der Beitritt für das nordische Land haben könnte. Der Beitritt sei sozusagen der letzte Schritt Finnlands in den Westen: «Ein Beitritt zur Nato bedeutet, dass Finnland bereit ist, Demokratie und Freiheitsrechte zu verteidigen.»

«Vertrauen nicht mehr gegeben»

Bisher sei es so gewesen, dass zahlreiche Finninnen und Finnen davon ausgegangen wären, dank ihrer guten Beziehungen zu Russland sei ein Nato-Beitritt nicht nötig. Nun aber sei «das nachbarschaftliche Vertrauen nicht mehr gegeben». Präsident Niinistö habe diese Woche gesagt: «Wladimir Putin soll in den Spiegel schauen, wenn es um die Frage geht, wer für den Nato-Beitritt Finnlands verantwortlich ist.»

Doch mit dem Beitritt muss Finnland befürchten, von Russland attackiert zu werden. Der Kreml liess bereits verlauten, Finnland müsse mit «symmetrischen Antworten» rechnen. Mitte April hatte zudem bereits Dmitri Medwedew (56), ehemaliger Präsident und Premierminister und heute Chef des Sicherheitsrats, von Provokation gesprochen und mit der Stationierung von Atomwaffen an der Ostsee gedroht, wenn die Finnen der Nato beitreten würden.

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Keine Angst vor militärischen Reaktionen

Isoaho hält das für Geplänkel: «Ich teile die Einschätzung des estnischen Präsidenten Alar Karis, wonach Russland keine ernsthaften Militäraktionen gegen Finnland unternehmen wird.»

Zwar würden die Russen wohl eine «Bullying-Politik» betreiben, die sich durch «Drohungen, Einschüchterungen und Schikanen» auszeichnet, aber Truppenverlegungen an die Grenze Finnlands seien unwahrscheinlich. «Russland braucht seine Soldaten in der Ukraine». Zudem habe man im Ernstfall Partner, Grossbritannien etwa sei bereit, Finnland im Konfliktfall militärisch zu unterstützten, eine entsprechende Erklärung habe Premier Boris Johnson vor wenigen Tagen unterschrieben.

Erste Konsequenzen gibt es bereits: Ab heute Samstag hat Russland seine Stromlieferungen nach Finnland eingestellt. Angeblich wegen ausstehender Zahlungen.

30'000 aktive Soldaten, rund 870'000 Personen in der Reserve

Tritt Finnland der Nato bei, könnten sie rund 30’000 aktive Soldaten bieten, im Kriegsfall könnte man 280’000 Soldaten mobilisieren. Die Reserve betrage rund 870’000 Personen, sagt Isoaho.

Auch in Schweden wird überlegt, der Nato beizutreten. «Das wird die Sicherheitslandschaft rund um die Baltische See entscheidend verändern», ist der Polit-Experte überzeugt. Diese würde dann weitgehend von Nato-Staaten flankiert sein. Es sei zudem kein Zufall, dass Finnland und Schweden ihren Beitritt abstimmen, Schweden sei das wichtigste finnische Partnerland.

Aufnahme dürfte problemlos klappen

Analysten gehen davon aus, dass sowohl Finnland als auch Schweden innerhalb weniger Wochen in die Nato aufgenommen werden würden, sollten sie ein Beitrittsgesuch stellen. Im Gegensatz zu Staaten wie Albanien, Montenegro oder Nordmazedonien, die jahrelang warten mussten. Oder auch der Ukraine, die seit mehr als 15 Jahren zum Militärbündnis gehören will, aber bisher keine Aufnahme fand.

Finnland und Schweden gelten im Gegensatz zu diesen Ländern aber als Vorzeige-Demokratien, niemand zweifelt an ihrer Rechtsstaatlichkeit. Zudem können sie gut organisierte Streitkräfte als Mitgift einbringen. Und damit die Macht der Nato, sollte es je zu einer Eskalation mit Russland kommen, vergrössern. (vof)

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