Faucis Corona-Mails offengelegt
«Unsere Gesellschaft ist wirklich total verrückt»

Was hat der amerikanische Chef-Virologe Anthony Fauci während der heissen Corona-Monate gedacht und getan? Das zeigen nun Tausende Seiten seiner Korrespondenz.
Publiziert: 02.06.2021 um 18:23 Uhr
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Aktualisiert: 03.06.2021 um 10:49 Uhr
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Unvergessene Szene: Anthony Fauci fasst sich neben seiner Kollegin Deborah Birx an den Kopf, während US-Präsident Donald Trump spricht.
Foto: The Washington Post via Getty Images

Als Corona die Welt ins Chaos stürzte, galt Anthony Fauci (80) als «Stimme der Vernunft». Unter sechs Präsidenten hatte der Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten schon gedient. Nun stand er neben Donald Trump (74), wenn dieser Covid-19 mit einer Grippe verglich oder empfahl, Desinfektionsmittel zu trinken – und versuchte gemeinsam mit seiner Kollegin Deborah Birx (65), die USA in Sachen Corona auf Kurs zu bringen.

So wurde Fauci zum Helden – und zur Hassfigur. Donald Trump schaltete den unliebsamen Wissenschaftler schnell stumm, Fauci wurde bedroht und beschimpft. Was machte und dachte Fauci in dieser Zeit?

Tausende E-Mails zeigen das nun. «Buzzfeed» und die «Washington Post» haben sie unter Berufung auf die Informationsfreiheit erhalten und ausgewertet. Die Korrespondenz gibt einen Einblick, mit wem Fauci zwischen Januar und Juni 2020 in Kontakt stand, dass er manchmal selbst Anfragen von Unbekannten detailliert beantwortete – und wie unheimlich ihm der Rummel um seine Figur war.

Blick zeigt fünf Beispiele:

1. Eine Entschuldigung aus China

Fauci schrieb mit dem chinesischen Top-Wissenschaftler George Gao (59). Der sagte in einem «Science»-Interview, der Westen mache einen «grossen Fehler» damit, dass er den Leuten nicht nachdrücklich zu Masken riet.

Per Mail entschuldigte sich Gao bei Fauci, mit dem ihn offenbar eine langjährige Freundschaft verbindet, am 28. März für die Bemerkung: «Das war eine Formulierung vom Journalisten. Ich hoffe, du verstehst das.»

Fauci antwortete entspannt: «Absolut. Kein Problem. Wir werden das gemeinsam durchstehen.»

2. Rat für Unbekannte

Am 28. Februar erreichte Fauci eine E-Mail mit dem Betreff «DRINGEND». Eine ihm unbekannte Frau hatte offenbar seine gut geschützte Mailadresse in Erfahrung gebracht und wollte wissen: «Ich verstehe, dass Vizepräsident Pence Sie angewiesen hat, in der Öffentlichkeit nichts ohne Erlaubnis über das Coronavirus zu sagen (...) Ich will MORGEN einen Inlandsflug nehmen. Ist das sicher??»

Fauci antwortete am Tag darauf: «Ich bin nicht mundtot gemacht worden (...) und es ist sicher, im Inland zu fliegen.»

Eine Anfrage von einer anderen unbekannten Frau am 4. März («Eine bescheidene Anfrage»), ob eine Pneumokokken-Impfung vor Covid-19 schütze, beantwortete er schon eine Stunde später detailliert – um 21.45 Uhr, einem Mittwoch, unterzeichnet mit «Thanks, Tony».

Die Empfängerin konnte ihr Glück über die unerwartete Antwort vom Top-Wissenschaftler wohl kaum fassen. Sie reagierte nur fünf Minuten später mit: «Oh mein Gott. (...) Ich hätte ehrlich gesagt nie erwartet, dass Sie mir antworten, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie so grosszügig sind!»

3. Unterstützung von Promis

In Faucis Maileingang finden sich auch zahlreiche E-Mails von bekannten Namen: Etwa von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg (37), der Fauci ein Update über seine Pläne für einen «Corona-Infohub» schickte. Zuckerberg fragte ausserdem, ob Facebook irgendwie helfen könnte, die Imfpstoff-Tests zu beschleunigen.

Zudem bedankte sich Fauci persönlich bei der Schauspielerin Morgan Fairchild (71), die ihm ihren Twitter-Account zur Kommunikation anbot.

«Es wäre grossartig, wenn Sie an Ihre vielen Twitter-Follower twittern könnten», antwortete er Fairchild am 27. Februar. «Die amerikanische Öffentlichkeit sollte nicht verängstigt sein, aber sie sollte darauf vorbereitet sein, einen Ausbruch in diesem Land durch Massnahmen wie soziale Distanzierung, Homeoffice, vorübergehende Schliessung von Schulen usw. abzumildern.»

4. Keine Trump-Kritik

Fauci widerstand allen Versuchungen, die Trump-Regierung zu kritisieren. Auf einen Aufruf eines Kollegen beispielsweise, der implizierte, dass Fauci von Trump beeinflusst oder unterdrückt werde, antwortete er innerhalb von drei Stunden: «Deine Nachricht überrascht mich. (...) Ich folge niemandem ausser der Wissenschaft und sage immer, immer meine Meinung, wenn es um die öffentliche Gesundheit geht. Ich habe immer wieder Falschaussagen von anderen korrigiert und werde dies auch weiterhin tun.»

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5. Der Fauci-Hype

Einen Artikel mit der Überschrift «Fauci-Socken, Fauci-Donuts, Fauci-Fan-Kunst: Der Coronavirusexperte hat Kultstatus» kommentierte Fauci per Mail an einen Kollegen: «Wirklich surrealistisch. Hoffentlich hört das alles bald wieder auf. (...) Das ist überhaupt nicht angenehm, so viel steht fest.»

Er selbst leitete an einen Bekannten einen Artikel weiter, in dem es um seine Sexualisierung ging: «Das wird dich umhauen. Unsere Gesellschaft ist wirklich total verrückt.»

Selbst in den stressigsten Monaten einfühlsam

Die Redaktion von «Buzzfeed», die sich durch sechs Monate von Faucis Korrespondenz gewühlt hat, zieht ein fast bewunderndes Fazit über die Kommunikation des Top-Wissenschaftlers. Er sei ein «höflicher, zurückhaltender und einfühlsamer» Kommunikator: «Er interagiert höflich mit den Büroassistenten, die ihm bei seiner Korrespondenz helfen, und es beschäftigt ihn, wenn er Leute enttäuschen muss.»

Als etwa ein Kollege und Arzt aus dem Weissen Haus eine E-Mail an Fauci schreibt und ihm anbietet, gemeinsam einen Meinungsartikel über das Coronavirus zu schreiben und «die Nation zu vereinen», fragt Fauci einen Kollegen: «Wie können wir dieser Person höflich absagen?» (kin)

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