Extremismus-Experte über Trumps Scherbenhaufen
«Der Bürgerkrieg in der Republikanischen Partei hat begonnen»

Am Mittwoch wird Joe Biden als US-Präsident vereidigt. Derweil stehen die Republikaner vor einer Zerreissprobe, wie der Extremismusexperte Eric Ward erklärt.
Publiziert: 17.01.2021 um 19:52 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2021 um 11:49 Uhr
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Seine Tage als US-Präsident sind gezählt: Donald Trump. Seiner Partei aber stehen harte Auseinandersetzungen bevor.
Foto: keystone-sda.ch
Simon Marti

Seit dreissig Jahren beschäftigt sich Eric Ward mit der Frage, wie die Demokratie gegen Feinde von innen verteidigt werden kann. Der Extremismus-Experte und Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, ist unter anderem für die Bürgerrechts-Organisation Southern Poverty Law Center tätig.

SonntagsBlick: Herr Ward, anderthalb Wochen sind vergangen, seit ein Mob von Trump-Anhängern das ­Kapitol in Washington stürmte. Hat die US-Demokratie diesen Stresstest bestanden?
Eric Ward: Diese Frage stellen wir uns alle: Überlebt die amerika­nische Demokratie? Nun, sie ist widerstandsfähig. Aber sie steht noch immer unter grossem Druck. Das liegt nicht nur am ­eigentlichen Angriff der Aufstän­dischen, sondern auch an deren Unterstützern in Politik und ­Verwaltung.

Welche Verbindungen meinen Sie? Die Bilder vom 6. Januar zeigen eher sonderbare Gestalten.
Das ist lediglich die Spitze des ­Eisbergs. Weisse Nationalisten infiltrieren seit Jahren die Strafverfolgungsbehörden, das Militär und die Verwaltung. Es ist ein ­Mythos, dass die extreme Rechte nur aus ungebildeten Aussenseitern besteht. Studie um Studie hat gezeigt, dass sich darunter eine überdurchschnittlich grosse Gruppe gebildeter Leute befindet. Das ist eine soziale Bewegung, in der alle Schichten vertreten sind.

Was vereint diese Kräfte?
Da kommen viele Tendenzen ­zusammen. Das Erstarken der weissen Nationalisten etwa hatte seinen Ursprung in den 1960er-Jahren, als Antwort auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung. Diese Gruppe hängt einem rassistischen Bild Amerikas an, der Idee, dass die USA ein ausschliesslich weisses Land bleiben müssen. Die Republikaner zeigten sich zunehmend unfähig, sich klar von diesen Rassisten abzugrenzen. Vor allem nach der Wahl des ersten schwarzen Präsidenten Barack Obama.

Nach dem Abgang von Donald Trump dürften die ­vernünftigen Kräfte bei den Republikanern die Oberhand gewinnen.
Die Partei hat sich verwundbar gemacht. Jetzt ist der Moment gekommen, an dem sich die Repu­blikaner entscheiden müssen, ob sie die Partei der Konservativen sein wollen oder die der weissen Nationalisten. Sie können nicht beides sein. Leider haben sich bis jetzt zu viele in diesem Richtungsstreit neutral verhalten. Wenn sich die Extremisten durchsetzen – in einem Land, das kein Mehrparteiensystem kennt – droht der amerikanischen Demokratie ein Desaster.

Trump hat noch immer viele Anhänger, auch unter den gewählten Parlamentariern.
Es wird nicht einfach. Dies ist ein Kampf um die Seele der Repu­blikaner. Und vielleicht lässt sich diese Partei nicht mehr retten. Aber sie ist es wert, dass wir es versuchen. Der Sturm aufs Kapitol war jedenfalls nicht der Beginn ­eines Bürgerkriegs in Amerika. Das war der Beginn des Bürgerkriegs in der Republikanischen Partei.

Was erwarten Sie für die Vereidigung von Biden am Mittwoch?
Wenn jetzt wieder die Rede von Gewalt ist, wissen wir, dass das keine Übertreibung ist. Den Angriff auf das Parlament kann man als Probelauf sehen für das, was in den nächsten Tagen und Monaten kommen kann. Lasst uns hoffen, dass nichts geschieht. Aber lasst uns auf das Schlimmste vorbereitet sein.

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