Donald Trump (74) hat jetzt mehr Impeachments als Amtszeiten auf seinem Lebenslauf. Er ist der erste US-Präsident in der Geschichte mit zwei Amtsenthebungsverfahren. Beide hat er verdient, auf das aktuelle hätte man aber zum Wohle Amerikas verzichten müssen.
Im Fussball spricht man in einem solchen Fall gerne von Fingerspitzengefühl. Strikt nach den Regeln urteilen oder doch das Gesamtbild im Auge behalten? Trump tritt in einer Woche ab. Er hinterlässt ein Land, das so gespalten ist, wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Die grösste Aufgabe für die regierenden Demokraten und Präsident Joe Biden (78) ist es, die «Geteilten Staaten von Amerika» wieder zu vereinen. Mit dem jetzigen Impeachment, das die Trump-Fans als politisch motiviert ansehen, erreicht man genau das Gegenteil.
Impeachment hilft Trump
Das beliebte Argument der Befürworter, dass man Trump die Nuklearcodes in seiner jetzigen Verfassung so schnell wie möglich entwenden muss, ist unehrlich. Jeder Politiker und Experte weiss genau, dass ein Urteil im Senat erst nach dem 20. Januar gefällt wird. Trump bleibt also sowieso bis zu Bidens Amtseinführung im Weissen Haus.
Obendrauf gibt man Trump mit dem Impeachment einen Schub für seine Karriere nach dem 20. Januar. Der Republikaner wird sich kaum ausschliesslich auf seine Golfanlagen zurückziehen, sondern weiterhin Politik machen. Das Impeachment wird ihm dabei helfen, seine treuen Unterstützer bei Laune zu halten. Wie üblich mit Hass, Lügen und Diffamierungen.
Impeachment als Vorgeschmack auf die Frage des Jahres
Das historische Amtsenthebungsverfahren ist wohl auch nur ein Vorgeschmack auf die grosse Polit-Frage des Jahres: Wie soll man mit Ex-Präsident Trump rechtlich umgehen? Klar ist, dass ihm eine Klagewelle droht, sobald er das Weisse Haus verlässt.
Vor allem der linke Flügel der Demokraten drängt darauf, dass man mit Trump konsequent umgehen soll. Doch auch hier stellt sich dieselbe Frage des Fingerspitzengefühls: Soll man einen Ex-Präsidenten mit 74 Millionen Wählern verschonen – zum Wohle des Landes?
Wenn sich die linken Kräfte durchsetzen, könnte das Bild von Trump im orangen Overall tatsächlich Realität werden. Gleichzeitig würde das aber auch ganz andere Bilder von wütenden und enttäuschten Trump-Fans im Land nach sich ziehen. Bilder, die niemand sehen will. Und Bilder, die sicherlich nicht im Interesse Amerikas sind.
So richtig leidtun kann einem Joe Biden. Für seine Vereidigung hat er das Motto «Unite America» (deutsch: Vereinigt Amerika) gewählt. Eine ohnehin enorm schwierige Aufgabe, die mit dem zweiten Impeachment von Trump nur noch komplizierter wird.