Auf einen Blick
- Schweizer Ärztin forschte ein Jahr in der Antarktis unter extremen Bedingungen
- Isolation, Kälte und Dunkelheit belasten Körper und Psyche der Forscher
- Station liegt über 1000 km von der Küste auf 3000 m Höhe
Die Schweizer Ärztin Jessica Studer (34) hat ein Jahr an einem der entlegensten Orte der Erde biomedizinische Forschung betrieben. Auf der Station Concordia in der Antarktis erlebte sie vier Monate völlige Dunkelheit und Temperaturen bis zu minus 80 Grad Celsius.
Die Medizinerin untersuchte die Auswirkungen extremer Isolation und Umweltbedingungen auf den menschlichen Körper. Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) erhofft sich davon Erkenntnisse für zukünftige Weltraummissionen, wie Studer in einem jüngst veröffentlichten Podcast der Reihe «Spaceinfo Club» verriet.
Die ESA schickt jedes Jahr einen Mediziner oder eine Medizinerin in die Antarktis. Studer war Teil der zwanzigsten Winterbesatzung der Station, die sich über tausend Kilometer von der Küste entfernt befindet, auf einem über 3000 Meter hohen antarktischen Plateau.
Völlige Isolation
Eine der Herausforderungen war die grosse Höhe. Diese bewirkt unter anderem Sauerstoffmangel im Blut. «Wenn man nach draussen geht und einige Meter laufen muss, ist man sehr, sehr schnell ausser Atem», sagte Studer. Die weitere Folge sind Konzentrations- oder Arbeitsschwierigkeiten. Die lange Dunkelheit kann zu Schlafproblemen führen. Und die Einöde schlägt auch aufs Gemüt. Dies äussert sich etwa in Stimmungsschwankungen und Tagesmüdigkeit.
Studer und die Menschen auf der Station waren auf sich alleine gestellt. «Das Wissen, dass man eingesperrt ist, dass man nicht nach draussen gehen kann, ist eine grosse Belastung.» In den Wintermonaten gebe es wegen der horrenden Kälte keine Möglichkeit, dass ein Flugzeug in der Nähe landet. «Es ist einfach zu kalt.»
Auf der Internationalen Raumstation sei es bei einem medizinischen Notfall möglich, jemanden innert 24 Stunden zu evakuieren. Auf der Concordia gibt es das während der Wintermonate nicht. «Im Falle eines medizinischen Problems sind wir auf das angewiesen, was wir auf der Station haben», sagte Studer. «Das ist aus medizinischer Sicht eine Herausforderung, aber auch aus sozialer Sicht.»
Jessica Studer studierte nicht nur Medizin
Es gibt auf der Station die Stationsärztin und eine ESA-Ärztin, «das war's». «Wenn man sich vorstellt, dass sich während der Mission der Blinddarm entzündet oder ein Herz-Kreislauf-Zwischenfall eintritt, dann gibt es nur uns beide auf der Station, die sich darum kümmern können.» Das Schlimmste, das passieren könne, sei eine Operation, auf die sie nicht vorbereitet seien. «Das Ziel ist es, auf alles vorbereitet zu sein.»
«Wir leben hier mit unserer ‹Familie›, und das ist auch schon alles», sagte die Forscherin. «Wir können natürlich mit Europa telefonieren, wir können Textnachrichten verschicken, aber wir haben keine wirklichen sozialen Interaktionen.» Mit den Menschen auf der Station sei es mit der Zeit wie mit Familienmitgliedern oder Geschwistern: «Man liebt sie, aber manchmal nerven sie einen auch.»
Jessica Studer begann ihre berufliche Laufbahn in der Musik: Sie studierte klassische Musik und schloss mit einem Master in Musik und Pädagogik ab, bevor sie als Musiklehrerin tätig war. Ihre Leidenschaft für die Medizin führte sie zu einem zweiten Karriereweg: Nach Studien in Pharmakologie und Biomedizin absolvierte sie ein Medizinstudium in der Schweiz.
Für das Überleben braucht es nicht viel
In der Ausbildung entdeckte sie ihr Interesse für menschliche Physiologie in extremen Umgebungen. Durch die analoge Weltraummission Asclepios aus der Schweiz kam sie zur Weltraummedizin. Später absolvierte sie ein Praktikum bei der französischen Raumfahrtagentur (CNES). Schliesslich bewarb sie sich als ESA-Forschungsärztin für die Antarktis-Crew.
Zu ihrer bisherigen Karriere sagte sie: «Ich behaupte nicht, dass es immer einfach ist, aber ich denke, das Leben ist zu kurz, um Dinge zu tun, die man nicht wirklich machen will.» Ihr Rat: «Du wirst nur in den Dingen gut sein, die dich wirklich interessieren, also würde ich mich dafür entscheiden.»
Als sie von Europa in Richtung Antarktis verliess, war Studer voller Tatendrang. «Man darf drei Aluminiumkisten mitnehmen, und ich konnte mich gar nicht entscheiden, was ich alles hineinpacken wollte.» Rückblickend habe sie in dem Jahr in der Isolation nicht wirklich Bücher gelesen und nicht wirklich all die Dinge getan, die sie tun wollte. «Man hat seine Arbeit, seine Station, seine soziale Zeit mit den Besatzungsmitgliedern und das war's im Grunde.»
Für das Überleben in der Antarktis braucht es gemäss Studer nicht viel. «Ein Mensch braucht nicht wirklich viel, um zu überleben», sagte sie. «Die Frage ist natürlich, wie lange man überleben kann.»