Die frühere ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko (62) musste unlängst heftige Kritik einstecken. Während in ihrem Heimatland der Krieg tobt, verbrachte sie Neujahr in Dubai. Ein Video zeigt sie am Strand eines Luxushotels. Dies sorgte für grosses Aufsehen. «Meine Tochter und meine drei Enkel leben in Dubai», sagt Timoschenko nun in einem Interview mit «CH Media». «Sie zogen dorthin, bevor der Krieg begann.» Sie habe sie viele Monate lang nicht gesehen. «Vielleicht war es meine menschliche Schwäche, aber ich habe meine Tochter und meine Enkel sehr vermisst.»
Timoschenko war zwei Mal Ministerpräsidentin der Ukraine. Von Februar bis September 2005 und von Dezember 2007 bis März 2010. Auch bei der Präsidentschaftswahl 2019 trat sie an, unterlag damals jedoch dem aktuellen Präsidenten Wolodimir Selenski (45). Timoschenko erinnert sich an den 24. Februar 2022, als Russland den Angriff begann: «Mein Mann und ich waren in unserem Haus. Um fünf Uhr morgens weckten uns die Explosionen.» Sie hätten Angst gehabt an jenem Morgen. «Diese Angst wurde recht bald zu Zorn – und dieser dann zum Willen zu kämpfen.»
Russische Niederlage «unabwendbar»
Vor einer russischen Offensive im Frühjahr habe sie keine Angst, sagt Timoschenko. «Der Mythos, die russische Armee sei die zweitstärkste der Welt, ist zerstört. Genau wie der politische Mythos, Russland sei eine Supermacht.» Die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin ist zuversichtlich und bezeichnet eine russische Niederlage sogar als «unabwendbar».
Im Interview kommt Timoschenko auch auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin (70) zu sprechen, den sie mehrmals getroffen hat. «Einige Politiker und Experten meinen, er sei verrückt oder krank, und dies treibe ihn an. Ich teile diese Meinung nicht.» Was Putin antreibe, sei das «dunkle, rationale Böse». Putins Ziel sei nicht die Krim oder der Donbass gewesen. Nicht einmal die Ukraine. «Sein Ziel ist Macht. Weltweit, nicht nur in Russland. Er will die westliche Vormachtstellung in der Welt untergraben.» Putins Ziel sei eine neue Weltordnung, sagt Timoschenko. «Die Ukraine ist nur der Anfang.»
Kreml verantwortlich für ihre Inhaftierung?
Eines der grössten Probleme in der Ukraine ist die Korruption. Das Land gilt als eines der korruptesten in Europa. Nicht nur die aktuelle Regierung unter Selenski steht wegen Korruptionsfällen unter Druck. Auch Timoschenko wurde bereits wegen finanziellen Missbrauchs verurteilt und sass deshalb sogar im Gefängnis. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bezeichnete die Inhaftierung Timoschenkos allerdings als «willkürlich und rechtswidrig». Mitten in den Maidan-Unruhen änderte das ukrainische Parlament 2014 einen Artikel im Strafgesetzbuch der Ukraine, damit die Taten, für die Timoschenko verurteilt worden war, nicht mehr strafrechtlich zu ahnden waren. Die Politikerin kam frei.
Gemäss ihrer Darstellung war die Inhaftierung unter dem damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch (72) politisch motiviert. Nicht nur Janukowitsch habe sie ins Gefängnis gebracht, so Timoschenko. «Seine Hand führte der Kreml.» Die Verlockung, die Justiz für politische Zwecke zu missbrauchen, sei nach wie vor da. In Sachen Korruptionsbekämpfung gibt es laut Timoschenko jedoch Fortschritte. «Die politischen Führer spüren den Druck aus der Gesellschaft, die die Straflosigkeit, wie sie vor dem Krieg existiert hat, nicht mehr zulässt.» Dass die betroffenen Bürokraten sofort gefeuert wurden, nachdem Journalisten die aktuellen Korruptionsfälle publik gemacht hatten, sei bezeichnend. (noo)