300'000 Deutsche leben in der Schweiz. Nach den Italienern sind sie die zweitgrösste Ausländergruppe. Während sich einige Auswanderer in der Schweiz pudelwohl fühlen, sehen sich andere mit falschen Vorstellungen konfrontiert. Eine Reportage der deutschen «Welt» zeigt, wie sich das Leben in der Schweiz für Deutsche wirklich anfühlt. Das Fazit: Der Umzug in ein fremdes Land bietet viele Chancen – ist aber nicht für jeden etwas.
Nicolas Mauch (24) wollte schon immer im Ausland leben. Während der Corona-Pandemie habe er den Entschluss gefasst, nach Zürich zu ziehen, berichtet er der «Welt». «Eigentlich wollte ich zwischen Bachelor- und Masterstudium noch einmal reisen, das hat mir Corona versaut. Also dachte ich, dass ich auch gleich anfangen kann zu arbeiten.» Es gefällt dem UBS-Trainee in seiner neuen Wahlheimat: «Zürich ist wunderschön. Die Berge sind in der Nähe, und wenn ich Familie und Freunde besuchen will, bin ich mit dem Auto in zwei Stunden in Stuttgart.»
Mehr Expats in der Schweiz
Tiefe Inflation und direkte Demokratie
Die deutsche Zeitung bezeichnet die Schweiz als «unerschütterlich» gegenüber äusseren Einflüssen. Insbesondere die tiefe Inflation und Stabilität des Franken sowie die direkte Demokratie werden hervorgehoben. In der Reportage ist auch der sogenannte «Kantönligeist» ein Thema. Die Eidgenossen seien zufrieden, solange in ihrem Kanton alles gut laufe, erklärt ein Auswanderer der Zeitung.
Die lukrativen Löhne locken viele Menschen in die Schweiz. Das Problem: Auch die Lebenshaltungskosten sind hoch. Sie liegen schätzungsweise 59 Prozent höher als im europäischen Durchschnitt.
Fehlendes persönliches Umfeld wird unterschätzt
Längst nicht alle Expats sind zufrieden mit dem Leben in der Schweiz. Jährlich verlassen rund 25'000 Deutsche das Land wieder. «Etwa ein Drittel der deutschen Auswanderer ist nach einem Jahr wieder weg», sagt Matthias Estermann (52) zur «Welt», der seit 26 Jahren in der Schweiz lebt. Als Busfahrer und Reiseleiter begleitet er die verschiedensten Touristengruppen durch Luzern.
Estermann ist auch als Integrationsberater tätig und rät: Beim Auswandern ist ein Plan B unerlässlich. «Ich habe einiges an Lehrgeld gezahlt», erklärt er. Das fehlende persönliche Umfeld würden viele unterschätzen. Er erzählt von einer Familie, die in die Schweiz umgezogen war. Die Eltern hätten beide eine Stelle gefunden. «Drei Wochen nach dem Umzug rief mich der Vater an und erzählte, dass sie zurück nach Deutschland gehen, weil seine Frau nicht damit zurechtkommt, jeden Tag acht Stunden zu arbeiten», schildert Estermann das abrupte Ende des Schweiz-Abenteuers.
Eigenverantwortung als prägender Faktor
Die Eigenverantwortung spiele in der Schweiz eine grössere Rolle als anderswo. Dies zeige sich beispielsweise bei der Krankenversicherung. Für eine solche ist man hierzulande selber verantwortlich. Der kurze Mutterschutz und die hohen Zusatzkosten können die anfängliche Euphorie, in der Schweiz zu leben, dämpfen.
Die Auswanderungsgründe hätten sich in letzter Zeit verändert. Besonders vermögende Deutsche würde es immer öfters in die Schweiz ziehen. Sie hätten ernsthafte Sorgen, irgendwann vom Staat enteignet zu werden, so Estermann. Einige hätten «einfach keinen Bock mehr auf Deutschland».
Familie Behrens ist von Schleswig-Holstein nach Davos GR ausgewandert. Die Kinder wollten in den Bergen leben. Die Entscheidung, auszuwandern, sei spontan gefallen – trotzdem ist der Schritt wohlüberlegt. Der Vater hat sofort eine Stelle als Physiklehrer an der zukünftigen Schule seiner Kinder gefunden. Sie haben in einem ersten Schritt ein möbliertes Ferienhaus bezogen und wollen sich in einem Jahr entscheiden, ob sie dauerhaft in der Schweiz bleiben wollen. (ene)