Die türkische Stadt Kahramanmaras gleicht einem Trümmerfeld. Gebäude sind zerstört, Strassen kaputt. Nach dem schrecklichen Erdbeben mit Zehntausenden von Toten scheint die Zeit in der Stadt stehengeblieben zu sein.
Ein eigentlich unscheinbares Haus fällt auf. Es hat das Erdbeben fast unbeschadet überstanden. Das grau-blaue Bürogebäude mit der Aufschrift TMMOB hat nicht einmal eine gesprungene Scheibe. Unfassbar: Das Wohnquartier rund um das Gebäude wurde komplett verwüstet, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland schreibt.
Warum überstand ein einziges Gebäude des Viertels das Beben unbeschadet? Diese Frage beantwortet Mahir Ulutas, Vorsitzender der türkischen Kammer der Elektroingenieure (Emo). Er twittert: «Keine Worte mehr nötig. Wissenschaft und Technik reichen aus, um Bauwerke zu bauen, die ein so grosses Erdbeben überstehen. Solange Wissenschaft und Technik zum Wohle der Menschen eingesetzt werden.»
Türkisches Bauversagen?
Mit dieser Aussage trifft Ulutas einen wunden Punkt. Seit dem Erdbeben werden Missstände beim Erdbebenschutz vermutet. Die Bevölkerung äussert deswegen Kritik an der türkischen Regierung, die politische Lage ist angespannter denn je. Die Behörden hätten es versäumt, Kontrollen durchzuführen oder gesetzliche Regulationen zu schaffen, so der Tenor. Präsident Recep Tayyip Erdogan (68) wird von vielen Menschen für die hohen Opferzahlen verantwortlich gemacht.
Beim Bürogebäude in Kahramanmaras scheinen aber offenbar alle Vorschriften eingehalten worden zu sein. Und das hat einen Grund: Das Haus gehört dem Verband der türkischen Ingenieure und Architekten, dem TMMOB. In der Vergangenheit hat sich dieser schon kritisch gegenüber Erdogans Regierung und Menschenrechtsverletzungen geäussert. An Protesten gegen Erdogans Partei AKP hat die Gewerkschaft ebenfalls schon teilgenommen.
Die Architekten-Gewerkschaft hat schon lange vor einem Erdbeben und seinen Folgen gewarnt und erklärt, dass bei einer Katastrophe aus Städten Friedhöfe werden würden. Auch beim Bau des Flughafens Hatay, der sich mitten im Erdbebengebiet befindet, haben sie offenbar gewarnt. Zu Recht: Hatay wurde massiv zerstört und die Landebahn von den Naturgewalten gespalten.
«Mangelnde Vorbereitung auf Erdbeben»
Die Journalistin Arzu Geybulla erinnerte nach dem Erdbeben an diese Warnungen und twitterte: «Nun ist ausgerechnet das Gebäude ganz geblieben, in dem die Leute sitzen, die jahrelang gewarnt haben.» (ene)