Russlands Krieg in der Ukraine führte zur grössten Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg. Fast 4,9 Millionen Ukrainer sind nach Europa geflüchtet – auch in die Schweiz und nach Deutschland. Für die muss Platz geschaffen werden.
So muss André Steiner seine 5-Zimmer-Wohnung in Seegräben ZH frei machen. Auch in Windisch AG sollen 49 Mieter eine neue Wohnung suchen, damit Asylsuchende einziehen können. In Deutschland zeichnet sich ein ähnliches Bild: Erst sollen 40 Mieter in Lörrach ausziehen, nun soll aus einem Pflegeheim in Berlin eine Flüchtlingsunterkunft werden. 110 Bewohner müssen ihr Heim «Wohnen & Pflege Schillerpark» bis Ende des Jahres verlassen, schreibt «Focus».
Das Pflegeheim gehört zum Johannisstift Diakonie (JSD). Das Johannisstift hatte mit dem Eigentümer Paul Gerhardt Stift (PGS) 2006 vereinbart, bis 2031 bleiben zu dürfen. Doch das Mietverhältnis wurde vorzeitig beendet.
«Es sind Tränen geflossen»
Die ersten Flüchtlinge sind bereits in ihre neue Heimat eingezogen. «Bei den Räumungen sind unter den Betroffenen, denen gekündigt wurde, schon Tränen geflossen», berichtet der Angehörige eines Bewohners, der in einem angrenzenden Seniorenheim lebt. Und: «Tagelang standen Container vor dem Gebäude, die Möbel sind einfach weggeworfen worden.» Einige der Pflegeheim-Bewohner seien auf künstliche Sauerstoff-Versorgung angewiesen, trotzdem müssten sie umziehen.
JSD und PGS sind sich nicht einig darüber, wer beschlossen hat, das Seniorenheim aufzulösen. Das PGS behauptet, das Heim werde «auf Bitten der Johannisstift Diakonie» geschlossen. «Das Paul Gerhardt Stift hat 2021 Eigenbedarf angemeldet», sagt derweil das JSD.
Grund für die vorzeitige Aufhebung des Mietverhältnisses waren «unterschiedliche Vorstellungen bezüglich der nach den Miet- und Pachtverträgen vereinbarten Pachtzinserhöhungen», teilt JSD-Sprecherin Focus in einer Erklärung mit. Doch anstatt in ein anderes Gebäude zu ziehen, entschied das JSD, den 110 pflegebedürftigen Senioren zu kündigen.
Entscheidung erfolgte auf Bitten des Landesamts für Flüchtlinge
Weder für die Bewohner noch für die Mitarbeiter sei laut dem Stift eine langfristige Planung möglich gewesen. Es ist kein Geheimnis, dass ein Pflegeheim kostenintensiver ist als ein Flüchtlingsheim. Für Letzteres gibt es landesweite Zuschüsse. Das PGS dementierte gegenüber der «Berliner Zeitung», dass es sich um eine wirtschaftliche Entscheidung handelte. Sie beruhe einzig auf «den Bitten des Landesamts für Flüchtlinge».
Einige Bewohner haben bereits eine neue Bleibe gefunden. Für viele Senioren, die im Rollstuhl sitzen oder auf eine 24-Stunden-Betreuung angewiesen sind, ist die Suche nach einer neuen Unterkunft eine Bürde. Der PGS-Vorsteher besuchte beim Mittwochskaffee die Bewohner, und hörte sich ihre Fragen und Sorgen an. «Die Verzweiflung der Bewohner ist aber an ihm abgeperlt wie Wasser», sagt ein Bewohner zu «Focus». (jwg)