Der russische Präsident Wladimir Putin (69) hat letzte Woche ehemalige Sowjetrepubliken besucht. Es war seine erste Auslandsreise, seit er am 24. Februar den Befehl zum Einmarsch in der Ukraine gab. Die zentralasiatischen Tadschikistan und Turkmenistan sind sozusagen ein Heimspiel, dort droht ihm kein Ungemach.
Viel weiter entfernt wird der Kriegspräsident wohl auch länger nicht mehr reisen können. Einen Vorgeschmack davon, wie unerwünscht die russische Führung derzeit weltweit ist, gab Putin unlängst sein Aussenminister Sergej Lawrow (72). Der konnte Anfang Juni nicht nach Serbien reisen, wo Putin übrigens wie ein Halbgott verehrt wird. Europäer verweigerten Lawrow den Überflug.
Vor einem Jahr reiste Putin noch nach Genf zum Gipfel mit US-Präsident Joe Biden (79). Eine solche Reise ist für Putin derzeit undenkbar. Dies, obwohl er auch im nicht verbündeten Ausland (noch) keine Konsequenzen fürchten muss. Ein Haftbefehl liegt nicht vor. Das aber könnte sich ändern.
Putin ist weltweit nicht mehr sicher
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat bereits Tage nach Kriegsbeginn Ermittlungen aufgenommen, um mutmassliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu untersuchen. Als Konsequenz könnte Putin verhaftet werden, sollte er einen der 124 Staaten betreten, die das Gericht anerkennen.
Falls das Gericht einen internationalen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten erlässt, wäre Putin im gesamten EU-Raum, Südamerika, Australien und in weiten Teilen des Zentrums und Südens von Afrika nicht mehr sicher.
Den Haag ermittelt bereits
Das Den Haager Strafgericht kann jede Person vor Gericht verlangen. Auch Putin. Würde dieser angeklagt und in ein Land reisen, das den Strafgerichtshof ratifiziert hat, dann wäre dieses Land verpflichtet, Putin festzunehmen und ihn an das Gericht in den Niederlanden auszuliefern.
Doch so einen Haftbefehl gibt es derzeit nicht. Auch die Ukraine gehört nicht zu den Staaten, die das Gericht anerkennen. Kiew hat das Statut des Gerichts zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert – genau wie Russland, China oder Israel.
Was nicht bedeutet, dass Putin nie vor diesem Weltgericht stehen könnte, das schon zahlreiche Kriegsverbrecher und Völkermord verurteilt hat. Die Ukraine hat den Gerichtshof durch ein sogenanntes Ad-hoc-Verfahren ermächtigt, mutmassliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ab dem 21. November 2013 zu untersuchen. Damit ist auch die Annexion der Krim Thema.
Schwierige Spurensuche
Der britische Chefankläger des Gerichts, Karim Khan (52), hat unmittelbar nach Kriegsbeginn Ermittlungen aufgenommen, wo und von wem entsprechende Verbrechen mutmasslich begangen wurden. Dabei können auch ukrainische Truppen in den Fokus geraten. «Wir schauen auf alle Seiten, sind unabhängig und unparteiisch», sagte Khan Mitte März dem Nachrichtensender CNN.
Niemand geniesse in dem Konflikt Immunität, so Khan. Doch schwierig wird es, Putin die Schuld an Kriegsverbrechen nachzuweisen. Zwar ist er der Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte. Doch nur schon um seinen Gesundheitszustand ranken sich wilde Gerüche und Spekulationen. Wie will man aus seinem innersten Kreis erfahren, welche Befehle er anordnet.
Massaker in Butscha
Für einen Haftbefehl gegen Putin müsste bewiesen werden, dass er auch direkt Verbrechen angeordnet hat. Hinweise könnten etwa Verhöre gefangen genommener Generäle oder abgefangene Funksprüche liefern, so der deutsche Verfassungsrechtler Volker Boehme-Nessler im Gespräch mit «T-Online».
Ein Indiz auf eine solche Befehlskette könnte etwa die Ehrung der russischen Truppen sein, die mutmasslich für das Massaker an Zivilisten in Butscha verantwortlich waren. Anfang April wurden in dem Kiewer Vorort die Leichen von Hunderten Zivilisten gefunden. Einige Wochen später empfing Putin die 64. Motorschützenbrigade in Moskau, die in dem Gebiet im Einsatz war. Dabei lobte Putin die Schlächter für ihre «versierten und entschlossenen Handlungen».
Dies könne «ein Baustein für Ermittlungen» sein, so der Jurist. Doch bis ein Haftbefehl erlassen werde, können Jahrzehnte vergehen. Und ein Land müsse sich erst noch trauen, Putin zu verhaften und nach Den Haag zu fliegen.
Hoffnungsschimmer Palastrevolte im Kreml
Eine eigentlich geplante nächste Auslandsreise von Putin wäre der G20-Gipfel im November in Indonesien. Putin habe die Einladung laut Kreml-Kreisen zwar angenommen. Doch Italiens Premier Mario Draghi (74) teilte am Rande des G7-Gipfels im deutschen Elmau mit, Indonesiens Präsident habe ausgeschlossen, dass Putin persönlich zum Gipfel anreise.
Die Hürden sind sehr hoch, dass Putin eines Tages wegen Kriegsverbrechen auf einer Anklagebank landet. Ein Hoffnungsschimmer wäre eine Palastrevolte in Moskau. Eine neue russische Führung könnte Putin selber den Prozess machen oder diesen aus seiner Heimat nach Den Haag ausliefern. Ähnlich lief es nach dem Balkan-Krieg in den Neunzigerjahren: Jahrzehnte nach Ende der Kämpfe wurden Rädelsführer zu Haftstrafen verurteilt.