Drei Mal musste Papst Franziskus (83) bei Andrea Rubera (54) anrufen. Dann nahm der Familienvater endlich ab. «Er hat mich von einer anonymen Nummer angerufen, ich habe es klingeln lassen. Als er dann sprach, hatte ich jedoch keine Zweifel, dass er es war», erinnert sich der Manager aus Rom an diesen Tag im Jahr 2015.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der gläubige Rubera bereits eine grosse Familie, aber ein schweres Herz: Gemeinsam mit seinem Mann Dario De Gregorio hat er drei Kinder, ausgetragen durch Leihmutterschaft in Kanada, die er gern katholisch erziehen will. Doch das stellte ihn vor «ein pastorales und persönliches Problem», weil die katholische Kirche, die ihm eigentlich so am Herzen liegt, seine Lebensweise ablehnt.
Rubera schrieb dem Papst einen Brief
«Nach der Lehre der Kirche kann die Achtung gegenüber homosexuellen Personen in keiner Weise zur Billigung des homosexuellen Verhaltens oder zur rechtlichen Anerkennung der homosexuellen Lebensgemeinschaften führen», heisst es noch in einem Schreiben der Glaubenskongregation von 2003. Papst Benedikt XVI. (93) sprach später im Zusammenhang mit der Homo-Ehe gar noch von einer «Selbstzerstörung des Menschen und der Zerstörung von Gottes Werk selbst».
Per Brief klagte Rubera dem Papst sein Leid. «Ich bat ihn um Hilfe und erklärte, dass die Kirche mir so viel gegeben habe und ich wollte, dass meine Kinder die gleiche Chance haben. Aber ich fragte mich, welchen Preis sie zahlen müssten, wenn sie zwei Väter hätten: Ich hatte Angst, sie einem Trauma auszusetzen», erzählte er dem «Corriere della Sera».
«Franziskus fragte mich nach dem Grund»
Und Franziskus reagierte. Nur zwei Tage nach dem Brief folgte offenbar der Anruf bei Rubera, der auch Sprecher von «Cammini di speranza» ist – einem Verband von Katholiken aus der LGBTQ-Community. «Er kam direkt auf den Punkt: ‹Ich habe Ihren Brief gelesen und wollte verstehen, wo das Problem liegt. Wurden sie in einer Gemeinde nicht akzeptiert?›», habe der Pontifex gefragt. «Ich habe ihm erklärt, dass ich es nicht einmal versucht habe.» Die Angst vor Ablehnung sei zu stark gewesen. «Er hat mich nach dem Grund für diese Angst gefragt.»
Schon diese Frage sei ein spannender Einblick in die Denkweise des Kirchenoberhaupts gewesen. «Er sagte mir, ich solle zum Pfarrer gehen und mich vorstellen, weil es für mich, meine Kinder und die ganze Kirche richtig war, an einem Gemeinschaftsleben des Glaubens teilzunehmen. Ich hatte abstrakt einen Segen vom Papst erwartet und spürte stattdessen den pastoralen Ansatz, der zum Wohl der Kinder eine Lösung finden wollte.» Der Papst habe noch hinzugefügt: «Sie werden sehen, dass Sie Akzeptanz finden werden und es gut gehen wird.» So sei es dann auch gekommen.
Papst-Aussage ist weniger revolutionär, als sie scheint
Für schwule und lesbische Katholiken hatte Franziskus immer mal wieder Unterstützung erkennen lassen. Allerdings hatte er homosexuellen Gläubige mit einigen merkwürdigen Aussagen auch schon kräftig vor die Nase gestossen – etwa, indem er homosexuelle Neigungen als eine Art Modeerscheinung darstellte. Änderte der Anruf bei Rubera Franziskus' Haltung?
Gerade wurde bekannt, dass sich der Pontifex zum ersten Mal für eine rechtlich-verbindliche Partnerschaft ausgesprochen hat – eine kleine Sensation. «Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu leben», bricht Franziskus in einer neuen Doku des russischen Regisseurs Jewgeni Afinejewski (48) mit der katholischen Haltung. «Francesco» feierte beim Filmfestival in Rom Premiere. Darin sagt Franziskus: Auch Homosexuelle seien Kinder Gottes und sollten rechtlich abgesichert sein. «Was wir benötigen, ist ein Gesetz, das eine zivile Partnerschaft ermöglicht.»
Auf den zweiten Blick ist die Aussage allerdings etwas weniger revolutionär, als sie scheint: Mehrere westliche Bischöfe und Kardinäle haben sich in der Vergangenheit bereits dafür ausgesprochen, dass homosexuelle Paare Rechtssicherheit haben sollten. Während die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare in den meisten westlichen Ländern mittlerweile zugelassen ist, kämpfen Menschen aus dem LGBTQ-Spektrum etwa in Polen mit massiven Einschränkungen, in manchen afrikanischen Ländern werden sie gar verfolgt.
Auch Rubera, der den Papst offenbar bewegte, ist laut «kath.ch» zurückhaltend: «Er hat mir nie gesagt, was er von meiner Familie hält. Wahrscheinlich hält er sich hier an die Lehre der Kirche.» Es sei vielmehr die Einstellung, die den Unterschied mache.
Früher traf sich Ruberas LGBTQ-Verband bei den Reformierten
Ob Richtungs- oder nur Stilwechsel: Der Anruf des Papstes veränderte das Leben von Rubera und seinem Mann. Wie der «Corriere della Sera» berichtet, verfolgen die drei Kinder – zwei Mädchen, ein Junge – seit ihrem dritten Lebensjahr die Katechese in einer Pfarrei im Norden Roms. Das älteste Kind habe sich zudem bereits den Pfadfindern angeschlossen. «Es hat nie irgendwelche Schwierigkeiten gegeben.»
Rubera findet lobende Worte für die Entwicklung der Katholischen Kirche. Gläubige aus der LGBTQ-Community fühlten sich zunehmend willkommen, gleichzeitig schule die Kirche die Pfarreimitarbeiter darin, Homosexuelle über ihren Lebensweg zu begleiten.
Das sei auch dem Engagement von LGBTQ-Verbänden innerhalb der Kirche zu verdanken. Als Rubera Ende der Neunziger mit seiner Arbeit für «Cammini di speranza» begann, hätten sie sich noch in Räumlichkeiten der Reformierten versammelt. Nun verschafft ihnen Franziskus Platz.