Ebrahim Raisi (†63), der Präsident der Islamischen Republik Iran, ist tot. Der tödliche Helikopter-Absturz am Sonntag in einer abgelegenen Provinz bei schlechten Wetterbedingungen könnte mitten im Gaza-Krieg eine entscheidende Nachfolgekrise im Iran auslösen, auch wenn die eigentliche Macht stets in den Händen des obersten Führers der islamischen Revolution Ayatollah Ali Khamenei (85) verblieben ist.
Sollen wir uns nun über diesen fatalen Flugunfall wundern, der auch Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian das Leben kostete? Nur gut einen Monat nach den israelischen Luftangriffen vom 1. April 2024 auf das iranische Konsulat in Damaskus, bei denen zwei wichtige Generäle der Revolutionsgarden getötet wurden, die direkt in die militärischen Operationen der Hamas in Gaza involviert waren? Was, wenn Raisi einem Sabotage-Akt zum Opfer gefallen wäre?
War Ebrahim Raisi ein Tötungsziel?
Bisher richteten sich die israelischen Angriffe oder Attentate auf den Iran immer gegen militärische oder wissenschaftliche Führer des Regimes, angefangen bei denen, die an den Operationen in Gaza und Syrien beteiligt waren, bis hin zu den Experten des Nuklearkomplexes. Das jüngste Beispiel ist die chirurgische Bombardierung des iranischen Konsulats in Damaskus (Syrien) am 1. April 2024, bei der zwei Generäle der Al-Quds-Brigaden, des bewaffneten Arms der Revolutionsgarden, ums Leben kamen: Mohammad Reza Zahedi und Mohammad Hadi Haji Rahimi.
Die Generäle konnten nur dank Insider-Informationen aufgespürt und von der israelischen Luftwaffe ins Visier genommen werden. Die Bomben töteten die beiden, nachdem sie den Sitzungssaal des iranischen Konsuls verlassen hatten. Könnte Ebrahim Raisi auch ein Ziel gewesen sein? Ja, auch wenn sein Tod offiziell immer noch auf einen Unfall in der Provinz Ost-Aserbaidschan mit der Hauptstadt Tabriz zurückzuführen ist. Sein Tod destabilisiert das iranische Regime in einem entscheidenden Moment.
Könnte Ebrahim Raisi verraten worden sein?
Bisher gehen die iranischen Behörden von einem Helikopter-Unfall aus. Es wird schwierig sein, mehr über die genaue Ursache des Absturzes zu erfahren, wenn es keine offizielle iranische Untersuchung gibt. Diese kann natürlich je nach Interesse der Regierung manipuliert werden. Die Realität der letzten Monate zeigt jedoch, dass das Mullah-Regime, das seit der islamischen Revolution von 1979 im Iran an der Macht ist, auf höchster Ebene infiltriert sein könnte.
Wie sonst liesse sich das gewaltsame Verschwinden von fünf iranischen Atomwissenschaftlern zwischen 2010 und 2020 erklären? Wie sonst liesse sich der israelische Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus am 1. April oder die gezielte Tötung von General Qassim Soleimani am 3. Januar 2020 durch eine Drohne der US-Armee auf dem internationalen Flughafen von Bagdad rechtfertigen? Das Szenario war in beiden Fällen identisch. Der feindliche Angriff war nur mit sehr präzisen Informationen möglich. Diese mussten von Spionen in den Reihen der Iraner geliefert worden sein.
Könnte Ebrahim Raisi bei einem «arrangierten» Absturz ums Leben gekommen sein?
In der Geschichte gab es immer wieder ungeklärte Flugunfälle, bei denen ausländische Geheimdienste eine Rolle spielten. Einige Abstürze wurden durch Raketenbeschuss verursacht, dessen Ursprung nie formell identifiziert wurde, wie z. B. der Absturz des Flugzeugs mit dem ruandischen Präsidenten Habyarimana am 6. April 1994. Sein Tod löste einen der schrecklichsten Völkermorde der Geschichte aus.
Andere Abstürze bleiben ungeklärt, auch wenn unter Historikern die Sabotage-These überwiegt. Man denke nur an den tödlichen Absturz im Kongo von Dag Hammarskjöld, dem damaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen. Oder an die Explosion des Flugzeugs mit dem pakistanischen Präsidenten Mohamed Zia Ul Haq am 17. August 1988. Fragen offen sind weiterhin beim Absturz der polnischen Präsidentenmaschine in Smolensk am 10. April 2010, der den damaligen Staatschef Lech Kaczyński das Leben kostete. Ein Unfall kann also auch «arrangiert» werden, zum Beispiel indem bei einer Wartung fehlerhafte Teile eingebaut werden oder eine Zeitbombe an Bord gebracht wird.
War Ebrahim Raisi verwundbar?
Der ultrakonservative Jurist, seit 1985 als Staatsanwalt von Teheran für sein hartes Vorgehen bekannt und für zahlreiche Hinrichtungen direkt verantwortlich, war ein Hauptakteur des iranischen Repressionsapparats und damit ein zentraler Dreh- und Angelpunkt der Unterdrückung gegen die Proteste der iranischen Opposition seit 2022. Im Jahr 2017 war Raisi bei den Präsidentschaftswahlen noch dem eher gemässigten Kandidaten Hassan Rohani unterlegen. Im Juni 2021 hat er die Wahl dann gewonnen.
Raisi galt als möglicher Nachfolger von Ayatollah Ali Khamenei, des obersten religiösen Führers, der das Land in Wirklichkeit regiert. Das Mullah-Regime wird traditionell von internen Kämpfen zerrüttet. Die Wartung der iranischen Flugzeuge und Helikopter wird ausserdem durch die westlichen Sanktionen gegen das Land, das nach Atomwaffen strebt, stark beeinträchtigt. Sollte sich der Unfall als echt erweisen und keine äussere Ursache haben, wird die religiöse Führung im Iran dennoch vor einer grossen Krise stehen.
Ist Ebrahim Raisi in einen schlecht gewarteten Hubschrauber geflogen?
Die Bell 212, mit welcher der iranische Präsident von Teheran in die Provinz Ost-Aserbaidschan geflogen ist, stammt aus amerikanischer Produktion. Geflogen wurde die Maschine zum ersten Mal Ende der 1960er-Jahre. Das Modell ist aus vielen Filmen über den Vietnamkrieg bekannt, und mit den gleichen Helikoptern evakuierten die USA am 30. April 1975 ihre belagerte Botschaft in Saigon.
Die meisten Teile, die für die Wartung dieses Flugzeugs erforderlich sind, werden im Ausland hergestellt, die im Iran gefertigten Teile können deshalb Mängel aufweisen. Die Bell 212 des Präsidenten war Teil einer Flotte von drei Helikoptern, die alle schon älter sind. Der Iran unterliegt seit über 40 Jahren Sanktionen im Bereich der Luftfahrt. Ein Intermezzo gab es nur zwischen 2016 und 2018, als iranische Importe von Ersatzteilen für kurze Zeit erlaubt waren.