Auf einen Blick
Die Nominierung war einstimmig: Die AfD wählte am Samstag ihre Chefin Alice Weidel (45) in der sächsischen Kleinstadt Riesa mit Standing Ovations zur Kanzlerkandidatin. Eine Abstimmung mit Auszählen der Stimmen gab es nicht.
Dennoch: Nicht alle Mitglieder der Rechtspartei stehen voll hinter ihr. Vor allem ein Punkt gab und wird wohl auch in Zukunft noch zu reden geben. Die AfD unterstützt ein traditionelles Familienbild und schimpft gegen Ausländer. Weidel aber lebt mit einer aus Sri Lanka stammenden Frau zusammen. Wie passt das zusammen?
Die meisten Themen aus dem Wahlprogramm sind am zwei Tage dauernden Parteitag der AfD unbestritten. Dazu gehören:
Verbot von Minaretten und Muezzinrufen
Verbot von Kopftüchern in öffentlichen Einrichtungen, vor allem an Schulen
Bürgergeld für Ausländer erst nach zehn Jahren Arbeit
Arbeitslosengeld erst ab drei Jahren Beschäftigung
Nato durch europäisches Militärbündnis ersetzen
Wiederaufnahme von Gas-Import aus Russland
«Remigration» von Ausländern
Bau von AKW
Einführung der Wehrpflicht
Für eine «traditionelle Familie»
Beim Thema Homosexualität geraten die Parteimitglieder allerdings ins Dilemma. Im Grundsatzprogramm kritisieren sie Homo- und Transsexualität und wehren sich gegen «Frühsexualisierung» und Inklusion «um jeden Preis».
Die AfD macht sich für die «traditionelle Familie» stark, wobei über den Begriff «traditionell» Uneinigkeit herrscht. Am Parteitag formulierte es die Antragskommission relativ offen, nämlich dass eine Familie allgemein für «Geborgenheit, Vertrauen, gegenseitige Fürsorge, Schutz und Rückhalt» stehe.
In dieser Formulierung hätte auch Alice Weidels Familienmodell Platz gefunden. Weidel lebt mit ihrer ursprünglich aus Sri Lanka stammenden Lebensgefährtin Sarah Bossard (43), einer Schweizer Film- und Fernsehproduktionsleiterin, in eingetragener Partnerschaft zusammen. Die beiden ziehen zwei Söhne gross.
Kein Modell für Weidel
Doch dieses Familienmodell behagt nicht allen Parteimitgliedern. Während die AfD-Fraktion im Bundestag für die Abschaffung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare kämpft, kamen auch am Parteitag zwei Anträge durch, die in die gleiche Richtung zielen: Eine Familie müsse sich aus «Vater, Mutter und Kindern» zusammensetzen.
Wie damit umgehen? Kritik an Weidels sexueller Orientierung ist bisher nie öffentlich geäussert worden. Das Dilemma wird nur indirekt angegangen. Tino Chrupalla (49), mit Weidel Co-Chef der AfD, bezeichnete sie in einem Interview mit RTL und N-TV lobend als «traditionelle Frau». Auf die Nachfrage, warum sie trotz ihrer Homosexualität dem Programm der AfD entspreche, ging er nicht ein.
Weidel selber hat sich zum Thema in einer Wahlkampfrede vor sieben Jahren geäussert. Damals sagte sie, dass sie gerade wegen ihrer Homosexualität der AfD beigetreten sei. Denn die AfD sei die einzige Partei, die Homosexuelle vor Übergriffen und Belästigungen durch Migranten schütze.
Für solche Aussagen herrscht beim deutschen Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Unverständnis. Er schreibt, dass sich die AfD trotz Weidel nicht vom homophoben Programm abwende und man sich «nicht von einer lesbischen Spitzenkandidatin täuschen» lassen dürfe.
Wie sich die AfD windet
Das Dilemma bleibt. Allerdings verstehen die AfD-Mitglieder, das Thema abzuschwächen. So sagte der Hamburger AfD-Delegierte Krzysztof Walczak (30) mit Blick auf Weidel, die Formulierung eines Leitbildes impliziere nicht, dass man andere Lebens- und Familienmodelle ablehne.
Zudem können die AfD-Mitglieder das Dilemma sogar zu einer Stärke herbeireden. Weidels Partnerschaft dient auch als Argument, Vorwürfe wegen Homophobie, Rassismus und Frauenfeindlichkeit abzuschmettern.
Und schliesslich ist Weidel in ihrer Rhetorik in allen übrigen Themen derart scharf, dass sie damit die Kritik an ihrer Homosexualität neutralisiert und zu einem grossen Teil schon im Keim ersticken kann.