Der Duft von frisch gemähtem Gras liegt in der Luft, von weitem ist das Gebimmel von Kuhglocken zu hören: Das beschauliche Wohngebiet am Sihlsee zeigt eine Seite der Bilderbuchschweiz, von der Touristen träumen und Lokalpolitiker in 1.-August-Ansprachen schwärmen.
Und es ist das neue Zuhause von Alice Weidel (40), ehemalige Spitzenkandidatin und heutige Fraktionsvorsitzende der deutschen Rechtsaussenpartei Alternative für Deutschland (AfD). CH Media hatte vor kurzem vom Umzug der umstrittenen deutschen Politikerin in «eine grössere Zentralschweizer Gemeinde» berichtet. BLICK weiss: Das neue Daheim liegt in einem Ortsteil der 16'000-Seelen-Gemeinde Einsiedeln.
Wohnung mit Seesicht
Seit Ende vergangenen Jahres wohnt die studierte Ökonomin, die den Klimawandel leugnet und vor «messerstechenden Migrantenmobs» warnt, hier in Schwyz – in einer Viereinhalbzimmerattikawohnung mit Seesicht. An ihrem früheren Wohnort, der linken Multikulti-Stadt Biel BE, war Weidel wegen ihrer politischen Ausrichtung teilweise offen angefeindet worden.
Hier in der konservativen Zentralschweiz ist es indes mehr ihre sexuelle Orientierung, mit der sie auffällt: Die Deutsche lebt in eingetragener Partnerschaft mit einer Schweizer Filmemacherin zusammen, das Paar hat zwei kleine Söhne.
Weidel will nicht mit BLICK sprechen
BLICK hat den neuen Wohnort der deutschen Politikerin besucht. Weidel ist zu Hause, als BLICK an der Wohnungstür des Mehrfamilienhauses klingelt. Mit der Journalistin über ihr neues Zuhause sprechen will sie aber nicht. Privates hält Weidel, deren Hauptwohnsitz offiziell noch immer in Deutschland ist, strikt von der Öffentlichkeit fern.
Kein Wunder: Schliesslich könnte der Kontrast zwischen der politischen Scharfmacherin Weidel, die am Rednerpult gegen Minderheiten hetzt, und der Familienfrau Weidel, die mit einer aus Sri Lanka stammenden Frau zusammenlebt, kaum grösser sein.
Auch in der Nachbarschaft Weidels gibt man sich zugeknöpft. In der Dorfbeiz ganz in der Nähe ihrer Wohnung ist kaum etwas los an diesem Mittag. Die Sommerferien sind vorbei. Nur einige wenige Einheimische sitzen in der Gaststube, vor sich das Tagesmenü: Schweinsbraten mit Kartoffelstock, dazu ein grüner Salat. Die Kellnerin in geblümter Tracht ist gut gelaunt und in Plauderstimmung. Bis man sie auf Weidel anspricht. «Ich darf nichts sagen», sagt sie kurz angebunden und bittet um Verständnis – bringt aber zum Ausdruck, dass die neue Nachbarin am Stammtisch durchaus Thema gewesen sein dürfte.
Gemeindepräsident wusste von nichts
Etwas gesprächiger zeigt man sich im Dörflädeli in der Nähe. «Frau Weidel kommt regelmässig hier einkaufen», erzählt die Verkäuferin. «Sie ist immer freundlich.» Auch eine Mutter, deren Sohn mit Weidels Älterem in die erste Klasse geht, beschreibt Weidel als nett und offen. «Sie ist präsent im Dorf und versteckt auch nicht, wer sie ist», so die Verkäuferin.
Gemeindepräsident Franz Pirker (51) hat derweil erst durch die Anfrage von BLICK von der prominenten Neuzuzügerin erfahren. «Unser Einwohneramt hat etwa 1000 Mutationen pro Jahr», sagt er entschuldigend. Wer weiss, vielleicht lerne er sie ja am Neuzuzügerempfang im Oktober persönlich kennen. «Ich freue mich über jeden, der kommt.»
Zur politischen Ausrichtung Weidels will sich der SVPler lieber nicht äussern. Stattdessen nutzt Pirker den Medientermin für einen kleinen Werbespot fürs Klosterdorf: «Es gibt keinen schöneren Ort zum Wohnen», schwärmt er von Einsiedeln. Ist Weidel hier willkommener als im linken Biel? Pirker glaubt schon. «Durch die 1000 Jahre Erfahrung, Gäste zu bewirten, ist eine gewisse Toleranz und Offenheit vorhanden.»
«Hier ist sie eher weniger willkommen»
Andere Einwohner, mit denen BLICK spricht, sehen das freilich ganz anders. Die Einsiedler, die seien schon ein «sehr eigenes Völkchen», meint eine jüngere Frau, die im Ort arbeitet und spürbar wenig von der bürgerlichen Dominanz im Dorf hält. «Ich glaube, hier ist sie eher weniger willkommen.» Und ergänzt: «Allerdings nicht unbedingt wegen der Politik, sondern weil sie Deutsche ist. Und lesbisch.»
Dass das Weidel so heftig zu spüren bekommt wie in Biel, glauben die Angesprochenen allerdings nicht. Denn in Einsiedeln würde zwar getuschelt und genau hingeschaut. Letztlich lasse man einander aber machen, meint ein älterer Herr. Oder wie es eine Frau, die BLICK im Raucherstübli der Beiz antrifft, zwischen zwei Zigarettenzügen formuliert: «Hier könnten Paris Hilton oder Roger Federer wohnen. Was interessiert uns das?»