Die Anwältin des Teufels
Olivia Ronen verteidigt den einzig überlebenden Bataclan-Attentäter

Frankreichs Trauma kommt vor Gericht: Seit Anfang September sitzen in Paris 14 Männer wegen der Terrorattacken vom November 2015 auf der Anklagebank. Darunter der einzige überlebende Bataclan-Schütze. Verteidigt wird er von der jungen Anwältin Olivia Ronen.
Publiziert: 03.10.2021 um 21:50 Uhr
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Olivia Ronen verteidigt ...
Foto: AFP
Camille Kündig

Sie ist genauso alt wie er, 31 Jahre. Doch ihre Geschichte könnten unterschiedlicher nicht sein. Er hat sich vom drogenabhängigen Kleinkriminellen zum Staatsfeind Nummer eins aufgeschwungen, sie ist eine der brillantesten Advokatinnen Frankreichs, ehrgeizig, von preisgekrönter Eloquenz und von ihren Amtskollegen respektiert.

Welche Ironie: Mit Maître Olivia Ronen liegt die Verteidigung des fundamentalistischen Hauptangeklagten im «Bataclan-Prozess», eines Mannes mit frauenfeindlichem Gedankengut, in den Händen einer Frau! Seit Anfang September wird im Pariser Justizpalast die Terrorserie aufgearbeitet, bei der im November 2015 vor dem Fussballstadion Stade de France, auf Terrassen von Bars und Restaurants und in der Musikhalle Bataclan insgesamt 130 Menschen getötet wurden.

Diese Woche traten erstmals Überlebende und Angehörige in den Zeugenstand. 14 Männer sitzen in der für sie vorgesehenen Glasbox. Der bekannteste ist Ronens Mandant, der einzige Überlebende des Terrorkommandos. Er hat nach Erkenntnissen der Ermittler drei der Selbstmordattentäter zum Fusssballstadion gefahren, trug selber auch einen Sprengstoffgürtel, zündete ihn aber nicht.

Islam-Attentäter und Neonazis sind ihre Klienten

Fast drei Jahre später, Sommer 2018, im Fleury-Mérogis-Gefängnis: Der Inhaftierte Nummer 444806 kontaktiert von seiner Hochsicherheitszelle aus die in der Öffentlichkeit kaum bekannte junge Anwältin. Wie es heisst, hat er Olivia Ronen in einer TV-Sendung über französische Syrien-Rückkehrer gesehen.

Ronen hat Erfahrung mit Extremismus. Sie verteidigte schon einen Hintermann des Nizza-Attentats, aber auch rechtsextreme Aktivisten. Hinter ihrem oft nur angedeuteten Lächeln verbirgt sich eine unerschütterliche Entschlossenheit. Der Medien- und Hasswelle, die seit Prozessbeginn über sie hereingebrochen ist, setzt sie ihre Diskretion entgegen. «Als Anwältin darf man keine Angst haben, nicht zu gefallen oder zu schockieren», erklärt sie in einem ihrer seltenen Interviews. Und fügt hinzu: «Sonst kann man genauso gut zu Hause bleiben.»

Paris, 1. Arrondissement, diese Woche. Die Betroffenen berichten von «confettis de chair», Konfettis aus Hautfetzen, als sich im Bataclan einer der Terroristen in die Luft sprengte. Von «zersplitterten Zähnen, vibrierenden Handys unter einem Haufen toter Körper». Ein junger Mann berichtet im Zeugenstand, wie er die Tatnacht auf der Terrasse «Le Carillon» erlebte. Er imitiert das Feuer einer Kalaschnikow und spricht ins Mikrofon: «Sieben Kugeln zerstörten einen Menschen. Es dauerte vier Tage, bis alle Körperteile meines Freundes gefunden wurden.»

Eine Million Seiten Prozessakten

Das Massaker füllt in den Prozessakten eine Million Seiten. Wer Olivia Ronen fragt, warum sie einen Mandanten verteidige, der für den Terroranschlag mitverantwortlich ist, hört stets dieselbe Antwort: «Je schlimmer die Tatsachen, desto mehr muss die Verteidigung absolut sein, ohne Zugeständnisse.»

Die Anhörungen der Überlebenden dauern mindestens vier weitere Wochen, die Angeklagten sagen erst Anfang 2022 aus. Ronens Mandant droht lebenslange Haft. Dass die Anwältin an diesem Strafmass etwas ändern kann, ist unwahrscheinlich.

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