Deutscher lief von zu Hause weg
Darum konnte Till sieben Jahre lang untertauchen

Plötzlich war er weg. Untergetaucht. Ganze sieben Jahre war Till R. aus Deutschland verschwunden, nachdem er von zu Hause abgehauen war. Aber wie konnte er so lange unentdeckt bleiben?
Publiziert: 30.05.2024 um 09:58 Uhr
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Aktualisiert: 30.05.2024 um 10:04 Uhr
Die deutsche Polizei suchte mit diesem Bild nach Till R., der als Schüler von zu Hause weggelaufen war.
Foto: Polizeipräsidium Mittelfranken
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Johannes HilligRedaktor News

Er lief von zu Hause weg und verschwand. Till R., jetzt 21 Jahre alt, packte seinen Rucksack, nahm etwas Geld mit und liess alles zurück: seine Eltern, Freunde und die Schule. Der Grund: Mobbing.

Sieben Jahre lang blieb er verschwunden. Gesucht wurde er deutschlandweit, sein Fall erreichte sogar die Sendung «Aktenzeichen XY». Doch erst jetzt ist er wieder aufgetaucht. 

Wie konnte der damals 15-Jährige überhaupt so lange unentdeckt in Deutschland leben?

Seine Flucht begann zuerst mit einem Zugticket. Er fuhr zu einem Freund, den er im Internet kennengelernt hatte. Über 400 Kilometer von zu Hause weg. Danach wollte er doch zurück zu seinen Eltern und wandte sich an das Jugendamt. Er wolle, dass die Beschimpfungen in der Schule aufhören, dann gehe er auch nach Hause.

«Als ich aus dem Zug stieg, habe ich beschlossen, wegzulaufen»

Doch die Beamten waren keine grosse Hilfe. Sie kauften dem Jugendlichen ein Zugticket zurück nach Hause. Während der Fahrt beschloss Till R. dann, ganz abzuhauen. «Ich hatte Angst, nach Hause zu fahren. Aber noch mehr Angst hatte ich vor der Schule. Im Zug hatte ich ununterbrochen ein ungutes Gefühl. In Düsseldorf musste ich umsteigen. Als ich aus dem Zug stieg, habe ich beschlossen, wegzulaufen und nicht nach Hause zu fahren», sagt er zur «Bild».

Zunächst geisterte er in Düsseldorf, in der Nähe des Bahnhofs, umher. Eine Woche lebte er dort auf der Strasse. Und lernte so Obdachlose kennen und freundete sich an. Durch ihre Hilfe bekam er Arbeit. «Wir haben uns mit Lagerarbeiten über Wasser gehalten. Gewohnt haben wir in einer verlassenen, abbruchreifen Halle in einem Industriegebiet. Wir waren zu dritt unterwegs und teilten das Wenige, was wir hatten. Das ging etwa ein Jahr lang so.»

«Der Mann, für den wir arbeiteten, hat uns ein Zimmer zur Verfügung gestellt»

Dann folgte ein herber Rückschlag. Till R. und seine Freunde wurden nicht mehr für Lagerarbeiten engagiert. Und plötzlich fehlte das Geld. «Wir wollten nicht stehlen, keine krummen Dinger drehen. Dann hörte einer der Kumpel, dass es in Berlin Jobs für uns drei gebe.»

Und so verschlug es ihn nach Berlin. Dort hielten er und seine Freunde sich mit kleinen Arbeiten über Wasser. Natürlich nicht offiziell angemeldet, sondern schwarz. «Der Mann, für den wir arbeiteten, hat uns dreien ein Zimmer zur Verfügung gestellt.» In den Jahren habe er nie mehr besessen als seinen Rucksack, den er damals in seinem Kinderzimmer gepackt hatte.

«Das war Kopfgeld»

Die Angst, entdeckt zu werden, begleitete Till ständig. «Keiner von uns dreien hat jemals ein Handy besessen», beschreibt er das abgeschirmte Leben. Doch die Ausstrahlung seines Fotos bei «Aktenzeichen XY» im Juni 2022 machte ihn zur Zielscheibe. «Das war Kopfgeld!», empörte sich Till, dessen Freund verprügelt wurde, um seinen Aufenthaltsort preiszugeben.

Die Sehnsucht nach Heimat, nach Normalität trieb Till letztlich zurück nach Bayern. Am 21. April erreichte seinen Vater schliesslich die erlösende Nachricht per Whatsapp von einem geliehenen Handy. Die Familie empfing ihn ohne Groll, nur mit Freude.

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