Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) rechnet auch im kommenden Jahr mit einer Fortsetzung des Ukraine-Krieges. «Beide Konfliktparteien im Ukraine-Krieg suchen weiterhin die Entscheidung auf dem Schlachtfeld», sagte BND-Präsident Bruno Kahl (60) am Montag bei einer öffentlichen Anhörung im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags. «Nahezu sicher werden die Kampfhandlungen auch im nächsten Jahr fortgeführt.»
Russlands Präsident Wladimir Putin (70) gehe es um die Wahrnehmung Russlands als Supermacht, sagte Kahl. In einer «Kosten-Nutzen-Kalkulation» sei er dabei bereit, «militärische, wirtschaftliche und politische Kosten eines Angriffskriegs gegen die Ukraine in Kauf zu nehmen». Denn ihm erschienen «die Kosten für Russland in der Zukunft deutlich höher (...), die durch eine weitere Annäherung der Ukraine an den Westen und die Nato entstehen würden.»
Dabei behalte sich Russland auch den Ersteinsatz von Kernwaffen vor. In einem regional begrenzten Szenario könnten diese zum Einsatz kommen, «um eine konventionelle Überlegenheit des Gegners zu kompensieren und um die militärische Eskalation dominieren zu können», sagte Kahl. Ziel wäre es dabei, «den Gegner durch einen eskalierten Einsatz strategischer Kernwaffen zurück an den Verhandlungstisch zu zwingen und diesen dann dazu zu bringen, einem Diktatfrieden zuzustimmen».
«Kriegserklärung gegen die gesamte westliche Welt»
Interesse Putins an einer wirklichen Verhandlungslösung in Gesprächen mit dem Westen sah Kahl aber nicht. Denn für ihn bestehe die «Hauptbedrohung» in der Verbreitung «des westlichen Gesellschaftsmodells von Freiheit und Demokratie». Denn dieses gefährde aus seiner Sicht seine Herrschaft «existenziell». Letztlich gehe es Putin damit in dem Konflikt «in erster Linie also nicht um das Staatsgebiet der Ukraine (...) Es geht ihm um eine Kriegserklärung gegen die gesamte westliche freiheitliche und demokratische Welt».
Im Parlamentarischen Kontrollgremium findet einmal im Jahr eine öffentliche Anhörung der Präsidenten der deutschen Nachrichtendienste statt. Neben BND-Chef Kahl stehen am Montag auch Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang (62) sowie die Präsidentin des Militärischen Abschirmdiensts, Martina Rosenberg (52), den Abgeordneten Rede und Antwort.
Auswirkungen auf innere Sicherheit Deutschlands
Der russische Angriff in der Ukraine sei «ein Gamechanger» in allen sicherheitsrelevanten Politikfeldern, sagte der Verfassungsschutz-Präsident. Er habe unmittelbare Auswirkungen auf die innere Sicherheit Deutschlands. Die Hemmschwelle für Operationen russischer Geheimdienste in Deutschland sei gesunken. Der Verfassungsschutz habe Szenarien entwickelt, die bis zu Morden in Deutschland reichten.
2019 hatte der Mord an einem Exil-Georgier in Berlin für Aufsehen gesorgt. Die Tat erfolgte mutmasslich im Auftrag des russischen Geheimdienstes FSB.