Lange Autoschlangen an russischen Grenzübergängen
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So schnell wie möglich raus:Lange Autoschlangen an russischen Grenzübergängen

Der Westen macht dicht
Russische Reservisten wollen nur noch weg – aber wohin bloss?

Putins Teilmobilmachung hat eine Fluchtwelle aus desertierenden Reservisten ausgelöst. Die europäischen Nachbarländer weisen sie ab, die letzte Rettung sind ehemalige Sowjetstaaten.
Publiziert: 24.09.2022 um 11:29 Uhr
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Aktualisiert: 23.11.2022 um 09:40 Uhr
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An der russisch-finnischen Grenze bilden sich lange Schlangen: Russische Reservisten wollen nur noch raus aus ihrem Land.
Foto: AFP
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Wladimir Putin (69) verkündet eine sofortige Teilmobilmachung von 300'000 Reservisten, und die wehrfähigen Männer in Russland nehmen die Beine in die Hand. Das Motto: «Bloss weg hier» – und das so schnell wie möglich, denn die Zeit ist knapp. Mindestens drei Regionen haben bereits angekündigt, dass sie ihre Grenzen für wehrfähige Männer schliessen werden.

Doch die Möglichkeiten zur Flucht sind begrenzt, vier der fünf an Russland angrenzenden EU-Länder kündigten Anfang Woche an, Russen mit einem Touristenvisum nicht mehr einreisen zu lassen. So erklärten Litauen, Lettland, Estland und die Tschechische Republik, sie würden flüchtenden Russen keine Zuflucht bieten. Auch Finnland will die Einreisebedingungen drastisch verschärfen. Wohin geht man also, wenn man nirgends willkommen ist?

EU-Staaten machen dicht

Grenzbeamte in Finnland, das Russen am Freitag die Einreise mit einem Touristenvisum verboten hatte, berichteten, dass sie eine «aussergewöhnliche Anzahl» russischer Staatsangehöriger bemerkt hätten, die über Nacht die Grenze überqueren wollten. Nach der von Putin am Mittwoch angekündigten Teilmobilmachung der Streitkräfte hatte sich die Zahl der Einreisen russischer Staatsbürger nach Finnland verdoppelt. So reisten am Donnerstag über 6000 Menschen ein, in der Vorwoche waren es noch 3000 gewesen.

Finnlands Antwort: eine Verschärfung der Einreiseregeln für Russen. Und damit steht das skandinavische Land nicht allein. Der Aussenminister von Litauen, Gabrielius Landsbergis (40), twitterte am Freitag: «Litauen wird denjenigen kein Asyl gewähren, die nur vor der Verantwortung davonlaufen. Die Russen sollten bleiben und kämpfen. Gegen Putin.» Und der lettische Aussenminister Edgars Rinekivs (49) betont, dass die flüchtenden Russen damit einverstanden seien, Ukrainer zu töten – sie wollen es einfach nicht selbst tun.

Reservisten flüchten sogar nach Belarus

Die EU-Länder machen dicht, also bleibt nur noch die Flucht nach Osten. Wie die «Welt» schreibt, waren laut der in Russland beliebten Buchungsseite Aviasales alle Direktflüge in die angrenzenden ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Georgien, Aserbaidschan und Kasachstan am Mittwoch ausgebucht. Ein Flug etwa nach Taschkent (Usbekistan) für Donnerstagabend kostete 3000 Euro.

Flugradar zeigt: Russen flüchten massenhaft aus dem Land

Armenien ist seit Beginn des Krieges zu einem wichtigen Exilland für flüchtende Russen geworden. Seither haben armenische Behörden rund 40'000 Ankünfte aus Russland verzeichnet. Augenzeugen berichteten, dass die russisch-georgische und die russisch-mongolische Grenze unter dem überwältigenden Verkehr «zusammenbrachen». Einige flüchtende Russen versuchten sogar, die Grenze mit dem Fahrrad zu überqueren. Seit Kriegsbeginn verzeichnete Georgien 50'000 russische Flüchtlinge.

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Einige desertierende Reservisten wagten sogar die Flucht in das eng mit Russland verbündete Belarus. Wie die unabhängige belarussische Zeitung «Nascha Niwa» schreibt, wurden die Sicherheitsdienste des Landes allerdings dazu angewiesen, russische Staatsbürger ausfindig zu machen und sie den russischen Behörden zu melden. Eine weitere mögliche Fluchtroute: über Kasachstan nach China. Allerdings ist über russische Flüchtende nach China oder in andere asiatische Länder noch nichts bekannt.

Deutschland will Deserteure aufnehmen – und die Schweiz?

Während Polen und die baltischen Staaten in den vergangenen Wochen die Einreise für Russen drastisch beschränkt hatten, erklärte sich Deutschland am Donnerstag bereit, Deserteure der russischen Armee aufzunehmen. Dies berichtet die Nachrichtenagentur AFP. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (52) sagte: «Wer sich dem Regime von Präsident Wladimir Putin mutig entgegenstellt und deshalb in grösste Gefahr begibt, kann in Deutschland wegen politischer Verfolgung Asyl beantragen.»

Heftigen Gegenwind bekommt sie unter anderem von Andrij Melnyk (47), ehemaliger Ukraine-Botschafter in Deutschland. Er wirft russischen Deserteuren die heimliche Unterstützung Putins vor. Er twitterte: «Das wäre eine katastrophale Entscheidung, russischen Männern Asyl zu gewähren, nur weil sie nach 210 Tagen stillschweigender Unterstützung von Russlands Aggression gegen das ukrainische Volk plötzlich keinen Bock auf ihre eigene Ruhestätte in der Ukraine haben. Falsch!»

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Und die Schweiz? Die Politik bereitet sich bereits vor. So fordert die SP, das Botschaftsasyl wieder einzuführen. «Die Schweiz hat ein grosses Interesse daran, dass diese Männer nicht in den Krieg ziehen», betont SP-Nationalrat Fabian Molina (32). Die SVP hingegen wehrt sich schon mal vorsorglich gegen ein solches Vorpreschen. Die Schweiz sollte alle Asylbewerber gleich behandeln, findet Fraktionschef Thomas Aeschi (43).

Fakt ist: Bisher haben kaum russische Flüchtlinge den Weg in die Schweiz gefunden. So hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) seit Anfang Jahr 128 Asylgesuche aus Russland registriert, gut ein Prozent aller Gesuche. Wehrdienstverweigerung oder Desertion allein reicht nicht, um in der Schweiz Asyl zu erhalten. Muss die Person in ihrer Heimat allerdings mit derart harten Strafen rechnen, dass zusätzliche, flüchtlingsrelevante Motive vorliegen, kann sie allenfalls dennoch als Flüchtling anerkannt werden. Jeder Einzelfall werde deshalb intensiv geprüft, so das SEM.

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