Seit einer Woche stehen sich im Norden Kosovos militante serbische Demonstrierende und Soldaten der internationalen Schutztruppe Kfor gegenüber. Der Kfor-Mission gehören auch Swisscoy-Soldaten an. Ihren Anfang nahm die neuste Eskalation in der Konfliktregion am Pfingstmontag, als es in der Region zu gewaltvollen Demonstrationen kam. In der Folge gab es auch Angriffe auf Kfor-Soldaten.
Die Bilanz der Gewalt: 30 Kfor-Soldaten wurden verletzt, laut dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic wurden über 50 Serben verletzt. Die Situation hat sich auch nach einer Woche nicht ganz stabilisiert, wie Andrea Gallieni, Pressesprecher der Kfor, gegenüber SonntagsBlick bestätigt. Zwar seien die Demonstrierenden friedlicher als noch Anfang Woche, aber: «Wir sind immer darauf vorbereitet, dass es wieder eskalieren könnte.» Galliani hält fest: «Einen solchen Angriff auf Kfor-Soldaten hat es seit Jahren nicht mehr gegeben!»
Hintergrund der aktuellen Spannungen sind Wahlen im Nordkosovo. Dort wurden im April vorgezogene Kommunalwahlen abgehalten. Da ethnische Serben – sie machen einen Grossteil der Bevölkerung in der Region aus – die Wahlen weitgehend boykottierten, wurden bei einer Beteiligung von weniger als 3,5 Prozent nur ethnische Albaner oder Vertreter kleinerer Minderheiten gewählt. Der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti setzte in der vergangenen Woche die Bürgermeister ein. Damit verärgerte er die serbische Bevölkerung. Und widersetzte sich Forderungen der EU und der USA, dies nicht unter Zuhilfenahme von Polizeikräften zu tun.
Zögerliche Balkanpolitik mit Schuld an Eskalation
Hat das Wort des Westens also keine Bedeutung mehr im Kosovo und in Serbien? Das stimme mindestens zum Teil, findet Konrad Clewing. Er ist Balkan-Experte am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung. Für ihn steht fest: Die westliche Balkanpolitik der letzten Jahre hat eine Mitschuld an den neusten Eskalationen. Diese habe versagt. Denn: «Der Westen lebt in Sachen Kosovo in der Vergangenheit.» Das Mandat, unter dessen Einhaltung Nato-geführte Truppen im Kosovo stationiert sind, stammt schliesslich aus 1999. «Geändert wurde daran seither zu wenig», so Clewing.
Das macht sich inzwischen bemerkbar. Die Fronten haben sich verhärtet, es brodelt konstant in der Konfliktregion. Für Clewing gibt es nun zwei wichtige Punkte, die man in den nächsten Jahren angehen muss: «Die EU muss aktiver werden», der erste Punkt. Der zweite: «Der Kosovo muss in die Nato aufgenommen werden.» Nur so könne laut Clewing die Sicherheit des Kosovos langfristig gewährleistet und die Region stabilisiert werden.
Der Westen muss sich neu positionieren
Einer, der diese Entwicklungen und die anschliessende Stagnation von Anfang an miterlebt hat, ist Wolfgang Petritsch. Der Österreicher war 1998 und 1999 EU-Sonderbeauftragter für den Kosovo. Als solcher war er 1999 EU-Chefunterhändler bei den Kosovo-Friedensverhandlungen von Rambouillet und Paris. Über die Jahre hat sich diese anfängliche Euphorie verflüchtigt. «Die Erwartungen waren 1999 sehr gross – konnten aber nicht so rasch umgesetzt werden wie gewünscht», sagt er zu SonntagsBlick. «Die EU hat irgendwann das grosse Ganze aus dem Blick verloren.»
Und jetzt wird die Situation immer verzwickter. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Zusammenstössen zwischen serbischen und kosovarischen Demonstranten, auch die beiden Armeen wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Petritsch: «Es geht so nicht mehr weiter.» Was ist zu tun? «Man muss die Situation neu bewerten», meint der ehemalige Diplomat Petritsch. Und das – angesichts der brodelnden Situation im Nordkosovo – so bald als möglich. «Die EU muss ein neues Gesamtpaket für den Kosovo und Serbien schnüren.» Und vor allem: «Der Westen muss wieder die Zügel in die Hand nehmen.»