Nach dem rechtsextremistischen Vorfall mit «Ausländer raus»-Gesängen in einer Sylter Nobelbar hält die Debatte über wachsenden Rassismus an. Das deutsche Staatsoberhaupt, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (68), warnte am Wochenende vor einer Radikalisierung auch «in der Mitte der Gesellschaft». Ebenfalls besorgt äusserte sich Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (56), die Polizei ermittelte inzwischen auch in Niedersachsen und Bayern nach zwei vergleichbaren Zwischenfällen bei Volks- und Schützenfesten.
Der durch ein Internetvideo bekannt gewordene ausländerfeindliche Vorfall in dem Sylter Lokal verstärke seine Beunruhigung, «weil es offensichtlich nicht nur die Randständigen, Abgehängten sind, die sich radikalisieren, sondern es ist eine Radikalisierung, die zumindest in Teilen in der Mitte der Gesellschaft auch stattfindet», sagte Steinmeier am Samstag in Bonn bei den Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Verkündung des deutschen Grundgesetzes.
«Ausländer raus»-Rufe bei Partys und Kirchbergweih
Umso mehr komme es «auf die grosse Mehrheit der Demokratinnen und Demokraten in Deutschland» an, fügte der Bundespräsident auf dem «Fest der Demokratie» hinzu. Sie müssten die Demokratie und die eigene Gemeinsamkeit «bewahren».
Auf den Videoaufnahmen ist zu sehen, wie mehrere Menschen auf der Terrasse einer bekannten Bar in Kampen zu einem bekannten Lied die rechtsextremen Textzeilen «Deutschland den Deutschen, Ausländer raus» singen. Auch ein Hitlergruss ist zu sehen. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts der Volksverhetzung und der Verwendung von verfassungswidrigen Kennzeichen.
Auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas äusserte sich beunruhigt über die Lage. «Wir müssen diskutieren, wie wir unsere Demokratie weiter schützen, wie wir mit Verfassungsfeinden weiter umgehen und wie wir mit solchen Auftritten umgehen», sagte sie am Samstag dem Sender Phönix zu dem Zwischenfall auf Sylt. «Wenn man solche unappetitlichen Auftritte sieht, fragt man sich wirklich, was in den Köpfen dieser jungen Menschen vorgeht.»
Derweil ermittelten auch Polizeibehörden in Bayern und Niedersachsen nach ähnlichen Zwischenfällen wegen Volksverhetzung. Nach Angaben der Polizei in Nürnberg sollen zwei junge Besucher der Kirchbergweih in Erlangen am Freitag ebenfalls zu dem Lied «L'amour toujours» des DJ Gigi D'Agostino «Ausländer raus» gerufen haben. Zwei Polizisten, die sich privat auf der Kirchbergweih aufhielten, hörten dieses und verständigten Sicherheitsdienst und Polizei.
Weiterer Vorfall auf Sylt
Im niedersächsischen Löningen sollten laut Polizei mehrere junge Männer auf einem Schützenfest zu demselben Lied «volksverhetzende Parolen» gerufen haben. Wie die Beamten in Cloppenburg berichteten, wurden entsprechende Videosequenzen in einem öffentlichen Chatportal geteilt. Der Staatsschutz ermittelte. Wie auf Sylt sollte sich dieser Vorfall nach Angaben der Polizei nach ersten Erkenntnissen offenbar schon am Pfingstwochenende ereignet haben.
Auch auf Sylt war der Vorfall offenbar kein Einzelfall. Eine weitere Bar in Kampen berichtete inzwischen im sozialen Netzwerk Facebook, auch bei ihr habe sich an Pfingsten «ein Rassismusvorfall» beim Abspielen des bekannten Partyhits ereignet. Die Beteiligten, die identifiziert werden konnten, seien mit Hausverbot belegt worden. Das Verhalten sei «erbärmlich und widerlich».
In Deutschland führen die jüngsten Vorfälle vor dem Hintergrund wachsender Sorgen über die Verbreitung von rechtsextremistischen Positionen innerhalb der Bevölkerung zu intensiven Debatten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (54) äusserte sich am Wochenende gegenüber der Funke-Mediengruppe besorgt über den Zusammenhalt im Land. «Wer so rumpöbelt, ausgrenzt und faschistische Parolen schreit, greift an, was unser Land zusammenhält.»
Hausverbot verhängt
Auf Sylt selbst rief ein Aktionsbündnis aus zivilgesellschaftlicher Gruppen für den kommenden Sonntag zu einer Demonstration gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit auf. Nach Angaben des Netzwerks «Zusammen gegen Rechts» vom Sonntag soll sie unter dem Motto «Sylt gegen Rechts» stehen. Schon an diesem Sonntag war demnach eine Mahnwache vor der betroffenen Bar geplant.
Deren Betreiber hatten sich dem Vorfall schockiert gezeigt und Hausverbote gegen die Beteiligten verhängt. «Dieses zutiefst asoziale Verhalten dulden wir nicht», erklärte sie im sozialen Netzwerk Instagram. Inzwischen hätten sie die Beteiligten identifiziert und Strafanzeige erstattet. Zugleich wies die Bar Kritik zurück. Das eigene Personal habe den Zwischenfall auf der grösseren Pfingstparty nicht mitbekommen. Sonst hätte es «sofort reagiert».