Das müssen Sie zur Präsidentschaftswahl in Brasilien wissen
Wird der «Tropen-Trump» die Niederlage akzeptieren?

Jair Bolsonaro hat in Brasilien die Stichwahl gegen den ehemaligen Präsidenten Lula verloren. Bei Krawallen hat es bereits einen Toten und Verletzte gegeben. Was passiert nun im fünftgrössten Land der Welt? Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 31.10.2022 um 17:34 Uhr
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Bei Bolsonaros Anhängern herrscht Wut und Enttäuschung.
Foto: AFP
Guido Felder

In Brasilien kommt es auf Anfang 2023 zum Machtwechsel von Rechts nach Links. Bei der Präsidentschaftswahl hat Luiz Inácio Lula da Silva (77) Amtsinhaber Jair Bolsonaro (67) mit 50,9 zu 49,1 Prozent der Stimmen geschlagen. Bolsonaro wird wegen seiner Politik auch «Trump Südamerikas» genannt.

Mit «Lula» kehrt ein bekanntes Gesicht zurück: Der frühere Gewerkschafter hatte Brasilien bereits von Anfang 2003 bis Ende 2010 regiert. Er ist der erste demokratisch gewählte Präsident Brasiliens, der in eine dritte Amtszeit geht.

Viele Anhänger verbinden Lula mit den goldenen Zeiten Brasiliens, als die Wirtschaft aufgrund hoher Rohstoffpreise boomte und die Regierung mithilfe von Sozialprogrammen Millionen Menschen aus der bittersten Armut holte. Für seine Gegner hingegen ist Lula verantwortlich für Korruption und Vetternwirtschaft.

Brasilien im Vergleich zur Schweiz

• Fläche: 8'515'770 km² (Schweiz: 41'285 km²)
• Einwohnerinnen und Einwohner: 215 Millionen (Schweiz: 8,7 Millionen)
• BIP* pro Kopf: 6823 Dollar (Schweiz: 93'457 Dollar)
• Sprache: Portugiesisch
• Hauptstadt: Brasília
• Unabhängigkeit: 1822 (von Portugal)
• Währung: Real

* Bruttoinlandprodukt nominal

• Fläche: 8'515'770 km² (Schweiz: 41'285 km²)
• Einwohnerinnen und Einwohner: 215 Millionen (Schweiz: 8,7 Millionen)
• BIP* pro Kopf: 6823 Dollar (Schweiz: 93'457 Dollar)
• Sprache: Portugiesisch
• Hauptstadt: Brasília
• Unabhängigkeit: 1822 (von Portugal)
• Währung: Real

* Bruttoinlandprodukt nominal

Im Juli 2017 wurde Lula wegen Korruption und Geldwäsche zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Nach 580 Tagen Gefängnis wurden die Urteile aufgehoben, da das urteilende Gericht nicht zuständig und der Richter befangen gewesen sein soll.

Was passiert nun weiter in Brasilien? Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie sind die Reaktionen in Brasilien auf Lulas Sieg?

Viele Anhänger von Bolsonaro sind wütend und trafen sich zu Kundgebungen. Sie reden von «gefälschter Wahl» und weigern sich, das Resultat zu akzeptieren. Ihr Tenor: Wenn Bolsonaro uns zum Protest aufruft, werden wir ihm folgen.

Bereits kam es zu ersten Ausschreitungen. Bei Feiern von Lula-Anhängern wurde ein 27-jähriger Mann erschossen, zudem gab es Verletzte. «Es bleibt zu hoffen, dass sich das Militär heraushält», sagt Johannes Kabatek (57), Brasilien-Experte an der Universität Zürich, gegenüber Blick.

Wird der «Trump Südamerikas» seine Niederlage akzeptieren?

Bisher hat sich Bolsonaro zum Wahlresultat nicht geäussert, er soll am Wahltag kurz nach 22 Uhr schlafen gegangen sein. Er hatte im Vorfeld der Wahlen immer wieder das Wahlsystem kritisiert und offen gelassen, ob er das Wahlergebnis anerkennen würde. Parlamentspräsident Artur Lira (53), ein Verbündeter Bolsonaros, forderte die Brasilianer allerdings auf, den Entscheid der Mehrheit zu akzeptieren.

Wie korrupt ist Lula?

«Dass er korrupt war, ist bis heute nicht nachgewiesen», sagt Kabatek. Lula habe viele Jahre in der Opposition mit geringen Mitteln und grossem Idealismus gekämpft und sei nicht der typische korrupte Politiker – weder lebe er in Luxus noch habe er ein nachweislich grösseres Vermögen.

Zwar habe er in seinem Umfeld Korruption und Günstlingswirtschaft zugelassen. Kabatek: «Dass es diese bis zu einem gewissen Grad wieder geben wird, ist abzusehen, aber sicherlich in wesentlich geringerem Masse als bei Bolsonaro, wo Familie, Freundschaft etc. als Hauptkriterium für die Auswahl des Umfelds galten.»

Was verspricht der neue Präsident?

Johannes Kabatek bezeichnet Lula als «klugen und taktisch gut agierenden Politiker», der in seiner früheren Regierungszeit den Wohlstand in Brasilien für die ärmeren Schichten zugänglich gemacht habe. Kabatek: «Er wird versuchen, einige der katastrophalen politischen Massnahmen Bolsonaros zu stoppen oder rückgängig zu machen.» Dazu gehörten unter anderem die Zerstörung des Urwalds, das antidemokratische Verhalten und die Gewaltverherrlichung.

Wird Lula ein guter Präsident sein?

Brasilien ist – ähnlich wie die USA – tief gespalten. Lula hat den Brasilianern angekündigt, ein Präsident für alle zu sein und den Graben zuzuschütten. Seine Kritiker befürchten eine Situation wie in Venezuela, wo die autoritäre linke Regierung das Land mit Verstaatlichungen und der Ausbeutung von Bodenschätzen 2017 in einen weiteren Staatsbankrott führte. Kabatek hält allerdings die Angst vor einer «Venezolanisierung» für übertrieben.

Wie reagiert die Welt?

In der westlichen Welt herrscht Erleichterung. US-Präsident Joe Biden (79) gratulierte und betonte, dass die Abstimmung «frei, fair und glaubwürdig» gewesen sei. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (64) twitterte, dass er sich auf eine «enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit» freue. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock (41) sagte, dass «die Wahl in Brasilien einen Sieger, aber mehrere Gewinner» habe. Ein anderer grosser Gewinner sei das Weltklima, sagte Baerbock.

Wird Brasilien nun zu einem neuen Partner für Europa?

Brasilien ist das fünftgrösste Land der Welt und pflegt heute schon eine enge Zusammenarbeit mit Europa. «Es ist für Europa sehr wichtig, ein starkes und prosperierendes Brasilien als Partner zu haben – gerade in der aktuellen Situation», sagt Kabatek. Er geht davon aus, dass sich die Beziehung jetzt weiter intensivieren wird.

Wird die Schweiz die Zusammenarbeit mit Brasilien intensivieren?

«Die Schweiz unterhält seit langem gute Beziehungen zu Brasilien, die sie mit der neuen brasilianischen Regierung weiterführen und ausbauen will», antwortet das EDA auf Anfrage von Blick. Kabatek erklärt: «Es geht für die Schweiz um einen wichtigen Wirtschaftspartner und Rohstofflieferanten.»

Wird Lula die Zusammenarbeit mit Russland beenden?

Die beiden Länder gehören den Brics-Staaten an, in denen Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika vertreten sind. Die Sanktionen gegen Russland werden daher nicht unterstützt. Kabateks Einschätzung: «Lula wird voraussichtlich auf Distanz zu Russland gehen und eine grössere Nähe zu Europa suchen – aber auch innerhalb Lateinamerikas wird er neue Verbindungen stärken.»

Wer wird später auf Lula folgen?

Lula war in der Vergangenheit sehr angeschlagen und die Wahl sehr personenbezogen. Daher geht es laut Kabatek jetzt schon darum, eine Nachfolge und «ernsthafte Alternative zum rechtsextremen Bolsonaro» aufzubauen. Kabatek: «Brasilien ist in den letzten Jahren politisch sozusagen entgleist, aber es ist vielleicht gerade noch rechtzeitig, um eine Rückkehr in eine stabile demokratische Kultur zu finden.»

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