Genf ist für Friedensgespräche ein guter Boden. Schon 1985 trafen sich der sowjetische kommunistische Generalsekretär Michael Gorbatschow (90) und US-Präsident Ronald Reagan (1911–2004) hier zu Verhandlungen. Auch wenn es in dem insgesamt fünf Stunden und 19 Minuten dauernden Gespräch keine konkreten Lösungen gab, läutete der denkwürdige Gipfel das Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West ein.
Als Gastgeber, der die Staatsleute in ihrer jeweiligen Landessprache begrüsste, amtete der eloquente Bundespräsident Kurt Furgler (1924–2008). Wahnsinn: Rund 3000 Journalisten waren zum Genf-Gipfel angereist.
Bei eisiger Kälte reichten sich Gorbatschow und Reagan am 19. November vor laufenden Kameras die Hand. Als sich Gorbatschow beim nur in Anzug gekleideten Reagan vergewisserte, ob er auch ja einen Mantel dabei habe, war das Eis gebrochen. Die beiden drehten sich lachend um und schritten zum ersten Gespräch ins Maison de Saussure.
Bei den Ehefrauen funkte es sofort
Um den Weg zu einem erbaulichen Gespräch zu ebnen, betonte Reagan seine Gemeinsamkeiten zu Gorbatschow. So sagte er, dass beide in ähnlichen «ländlichen Dörfern in der Mitte ihrer jeweiligen Länder» geboren worden seien und heute eine grosse Verantwortung trügen. Schon die erste Gesprächsrunde überraschte alle: Statt wie vorgesehen 15, dauerte sie stolze 74 Minuten.
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Auch die Ehefrauen trugen zur guten Stimmung bei. Nancy Reagan (1921–2016) und Raissa Gorbatschowa (1932–1999) trafen sich in den zwei Tagen fünfmal und waren sich auf Anhieb sympathisch. «Als würden wir uns seit über 100 Jahren kennen», meinte Raissa Gorbatschowa. Zusammen mit Ursula Furgler (1927–2015), Kurt Furglers Ehefrau, legten sie den Grundstein für das Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum in Genf.
Plötzliches Tauwetter
Diese Herzlichkeit, mit der die Staatsmänner an die Gespräche herangingen, überraschte. Die Fronten waren seit Jahrzehnten massiv verhärtet, sowohl die USA als auch die Sowjetunion bauten eifrig an neuen Massenvernichtungswaffen. Nur zwei Jahre vor dem Genfer Gipfel hatte Antikommunist Reagan die UdSSR noch das «Reich des Bösen» genannt. Erst als im März 1985 Gorbatschow im Kreml die Macht übernahm und mit Glasnost und Perestroika («Offenheit und Umgestaltung») ein neues Denken einführte, ebnete sich der Weg für ein Treffen.
Doch bei aller Herzlichkeit in Genf: Die Verhandlungen über Abrüstung, Afghanistan und Menschenrechte waren zäh. Beschlüsse gab es nicht. Immerhin waren sich Gorbatschow und Reagan in einer gemeinsamen Schlusserklärung einig, «dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals ausgefochten werden darf».
Die Früchte des Gipfels konnten erst Jahre später geerntet werden. Nach weiteren Treffen fiel 1989 in Berlin die Mauer, was die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten ermöglichte. 1991 wurde der «Start»-Vertrag (über 700 Seiten stark) unterzeichnet, in dem sich Moskau und Washington verpflichteten, die Anzahl strategischer Trägersysteme und atomarer Gefechtsköpfe substanziell zu verringern. Sechs Monate später gab es die Sowjetunion nicht mehr.
Gipfel unter anderen Vorzeichen
Im Vergleich zum Gipfel von 1985 herrschen heute allerdings andere Vorzeichen: Am Mittwoch steigt kein neuer aufbruchsfreudiger Kreml-Chef in den Ring, sondern ein festgefahrener Wladimir Putin (68), der seit Jahren im Sattel sitzt und seine Macht auch noch über Jahre ausüben wird. Ihm wird es vor allem darum gehen, die gegen Russland erhobenen Sanktionen aus dem Weg räumen zu können.
Auch tritt mit Joe Biden (78) ein Mann an, der sich persönlich von Putin angegriffen fühlt. Nach den Präsidentschaftswahlen hatte er ihm für angebliche Einmischung mit Konsequenzen gedroht und ihn in einem Interview sogar «Killer» genannt.
Der neue Gipfel von Genf wird daher kaum jenen oft zitierten «neuen Geist» heraufbeschwören, den das Treffen vor 36 Jahren ausgestrahlt hat. Für eine Versöhnung zwischen zwei Streithähnen braucht es aber immer einen Anfang – und als das ist der kommende Gipfel zu werten.