Eigentlich hatten sie alles, was sie sich gewünscht hatten. Haus, Kind, Erfolg im Beruf – doch all das machte ein Paar aus Grossbritannien doch nicht wirklich glücklich.
Scott Rawlings (34) arbeitete als unterer Manager in einer Steinbruchfirma, seine Frau Scarlette (33) sogar in einer Führungsposition einer kleinen Firma. Beide lebten mit ihrem damals dreijährigen Sohn gemeinsam in einem Haus in North Yorkshire. Doch das Leben, das sie sich erträumt hatten, erfüllte sie nicht. Irgendwas fehlte. Deshalb wagten sie einen radikalen Schritt, wie die «Daily Mail» berichtet.
2021 verkauften die beiden alle Möbel und das Haus, kündigten ihre Jobs und machten sich auf den Weg ans andere Ende der Welt – ins Hinterland von Chile. Mitten im Wald ergatterte Rawlings ein Grundstück und baute dort mit dem Geld vom Hausverkauf in Grossbritannien ein neues Haus – allerdings ohne Internet, Telefonanschluss, fliessend Wasser oder Strom.
«Als Führungskraft sass ich hinter meinem Schreibtisch fest»
Seit September 2022 lebt die kleine Familie mitten im Nichts. Die nächstgelegene Stadt des neuen Zuhauses ist Paradones, mit dem Auto zwanzig Minuten entfernt. «Das Leben in völliger Abgeschiedenheit war die beste Entscheidung», sagt Rawlings zur britischen Zeitung «Daily Mail».
In seinem vorherigen Job habe er viele lange, harte Tage gehabt. «Als Führungskraft sass ich hinter meinem Schreibtisch fest und arbeitete mit vielen Leuten zusammen, die nicht glücklich waren.» Er fährt fort: «Es kam mir vor wie eine Verschwendung von Zeit und Leben.»
Die Kosten der Familie belaufen sich auf umgerechnet etwa 450 Franken pro Monat. Das geben die drei für Lebensmittel, Benzin und Gasflaschen für den Herd aus. «Dieser Lebensstil ist so viel billiger.» Währenddessen sind in Grossbritannien die Kosten wegen der Inflation gestiegen. Im Oktober 2022 war sie mit 11,1 Prozent so hoch wie noch nie. Mittlerweile sinkt sie wieder, im Juli betrug sie aber immer noch 6,8 Prozent. Zudem werden Rawlings ihre Kosten sogar noch weiter senken können.
Familie will Kosten weiter senken
Das Traumhaus der Rawlings hat zwei Schlafzimmer, einen riesigen Balkon und eine Outdoor-Dusche im Wald. Zur Selbstversorgung hat die Familie einen eigenen Kompost und Hühner. Wasser bekommen die Rawlings aus einem Brunnen, dafür bohrte der Mann extra ein 25 Meter tiefes Loch. Auch in Zukunft stehen Projekte an: Die Familie möchte eigene Schweine züchten und Gemüse anbauen. «Das Klima ist perfekt dafür.»
Auch ihr Sohn finde das Aussteiger-Leben toll. Dass er ohne Smartphone und Tablet gross werde, freut seine Eltern. Was jetzt nur noch fehlt, sind Freunde. Darum soll ihr Sohn auch schon bald in den Kindergarten gehen. Doch hier zeigt sich auch, dass der Grat zwischen Aussteigertraum und prekären Verhältnissen schmal ist: «Er ist jetzt in dem Alter, in dem er in den Kindergarten gehen könnte, aber wir sind uns nicht sicher, ob wir es uns leisten können, das Benzin für den Hin- und Rückweg zu bezahlen», erklärt der Brite.
Das Problem: Die Auswanderer-Familie hat kaum noch Ersparnisse übrig – auch deshalb müssen sie noch mehr zu Selbstversorgern werden als zuvor. Deshalb arbeiten die Briten nicht weniger als zuvor. Doch sie tun es im Haus und im Garten statt im Büro. Und genau das lieben sie. (jwg)