Omikron gilt bisher als die wohl mildeste Corona-Variante. Sie ist zwar deutlich ansteckender als Delta, allerdings landet deswegen praktisch niemand mehr auf der Intensivstation.
Ob das auch bleibt, wagt der deutsche Virologe Christian Drosten (49) zu bezweifeln. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagt er, es sei möglich, dass in Zukunft eine Rekombination aus Delta und Omikron entstehe. Es wäre ein neues Virus, das einerseits «das Spike-Protein des Omikron-Virus trägt, um weiterhin diesen Immunvorteil zu geniessen, aber den Rest des Genoms des Delta-Virus hat». Das würde also bedeuten, dass diese Mutante die stärksten Eigenschaften aus beiden Varianten vereint – quasi eine «Deltakron»-Variante.
Drosten hält es ebenfalls für nicht unwahrscheinlich, dass Omikron ganz von allein weniger mild wird. Die Variante könnte einen sogenannten Serotypen entwickeln. Durch diesen könne einerseits das Immunsystem ausgetrickst, aber auch der Übertragungsschutz umgangen werden.
Stärker krankmachende Wirkung für Ungeimpfte gefährlich
Aus diesem Grund hält es der Virologe für einen Trugschluss und gefährlich, zu glauben, dass man sich jetzt praktisch sorglos mit Omikron infizieren könnte, einen milden Verlauf habe und dann immun sei. Er betont: «Es ist alles andere als sicher, dass das Omikron-Virus so, wie es jetzt ist, in diesem etwas abgemilderten Zustand bleiben wird. Das ist im Moment eine sehr wackelige Situation.»
Seiner Meinung nach könnte es sein, dass innerhalb weniger Wochen plötzliche eine Omikron-Variante da sei, die «wieder eine stärker krankmachende Wirkung mitbringt. Gegen diese Wirkung hätten diejenigen, die nicht geimpft sind, dann gar keinen Immunschutz. Dagegen könnte man auch nicht so schnell animpfen.»
Infektion bringt keine Immunität über lange Zeit
In einem solchen Fall würde eine natürliche Infektion auch wenig nützen. Denn das Virus vermittle in der natürlichen Infektion nicht zuverlässig über lange Zeit eine schützende Immunität, sagt Drosten. Um eine solche zu erreichen, müssten die Menschen mehrere Infektionen mit jeder dieser Varianten durchmachen. Doch: Das könnte Jahre dauern. Der Deutsche hält deshalb eine an Omikron angepasste vierte Impfung für sinnvoll. Mit einem solchen Stoff sei ab Frühling zu rechnen.
Drosten betont, dass in einer Gesellschaft wie in Deutschland, wo die Bevölkerung eher alt ist, die Grundimmunität zunächst nur durch eine «flächendeckende Impfung» erworben werden kann – wenn man nicht sehr viele Todesfälle riskieren möchte. Mit einer vollständigen Impfimmunität meint Drosten drei Impfungen. Eine Infektion durch das Virus könnte dann zusätzlich dazu beitragen, dass «diese Immunität auf der Bevölkerungsebene erhalten bleibt».
Krankheits- und Übertragungsschutz
Wann ist denn nun die Pandemie zu Ende? Drosten sagt, dass es dafür zusätzlich zu einem Krankheitsschutz in der Bevölkerung auch einen Übertragungsschutz braucht. Der Krankheitsschutz kann am besten über die Impfung erreicht werden. Für den Übertragungsschutz müsste die Immunität direkt auf der Schleimhaut hervorgerufen werden.
Der eine Weg, diesen zu erreichen, sei die Infektion. «Das heisst, wir brauchen auf dem Boden einer Impfimmunität, die uns gegen die Krankheit schützt, dann die Infektion mit dem Virus, die uns dann auch noch gesamtgesellschaftlich den Übertragungsschutz vermittelt, sodass die Immunität nicht nur im Blut ist in Form von Antikörpern und Immunzellen, sondern auch auf der Schleimhaut, denn dort gibt es eine eigene Immunität mit eigenen ortsständigen Immunzellen, die noch mal viel besser eine Abwehrschranke machen.»
Der andere Weg zum Übertragungsschutz wären angepasste Impfstoffe, die beispielsweise über einen Nasenspray verabreicht würden. So könnten abgeschwächte Coronaviren direkt auf der Schleimhaut eine Immunität erzeugen, ohne dass man sich infizieren müsste. Die Wissenschaft arbeitet mit Hochdruck an der Entwicklung. (man)