An Corona zu sterben ist ein schrecklicher Tod. Es ist ein Erstickungstod. Der vorwiegend ältere, aber auch jüngere Menschen befallen kann. Infizierte Menschen, die sich aus Überzeugung nicht impfen liessen, wenden sich mit verzweifelten Appellen aus dem Spitalbett, um andere zu warnen – wie die 56-jährige Italienerin Maria G. Sie habe ihr Leben riskiert, mahnt sie: «Wir alle, die hier im Krankenhaus liegen, sind nicht geimpft und bedauern es.» Oder kurz vor seinem Corona-Tod bereute der US-Familienvater Michael Freedy (†39): «Ich hätte die verdammte Impfung nehmen sollen.»
Das Schicksal zahlreicher Corona-Opfer hält offenbar eine wachsende Anzahl junger Franzosen nicht davon ab, sich absichtlich mit Covid anzustecken. Dies, um sich eine Impfung zu ersparen. Als Genesene gelten die für eine gewisse Zeit immun und sie erhalten den begehrten Gesundheitspass, der seit August auch für Restaurants und Bars nötig ist. Der Trend, so warnen Epidemiologen, ist gefährlich. Die Erkrankung bringe auch ein hohes Risiko für junge Menschen und deren Umfeld mit sich.
Impfskeptiker in Frankreich kommen mit einer überstandenen Coronavirus-Erkrankung an den «pass sanitaire». Den sogenannten Gesundheitspass erhält neben Geimpften und negativ Getesteten auch, wer Antigene aufweist und innerhalb der letzten sechs Monate an Covid-19 genesen ist. Der «pass sanitaire» gilt unter französischen Impfgegnern als begehrter Freipass, für den sich viele gerne infizieren lassen: «Im schlimmsten Fall fesselt mich das ein paar Tage ans Bett», zitiert der TV-Sender Franceinfo eine 20-Jährige. «Im besten Fall habe ich gar keine Symptome.»
Erkranken, um wieder das Leben zu geniessen
Der Zeitung «Le Figaro» sagte ein 25-Jähriger, er trage seine Maske nicht mehr, wasche sich weniger die Hände und arbeite an einem «Covid-Plan»: «Meine Frau und ich wollen Covid bekommen, um den Gesundheitspass zu erhalten.» Er wolle nicht wochenlang auf die beiden Impfungen warten und sich täglich testen müssen: «Ich hasse es, Termine zu machen und auf etwas warten zu müssen, das für mich absolut nutzlos ist».
Die 20-jährige Studentin Clémence sagte der Zeitung: «Ehrlich gesagt, wenn mir eine Freundin sagt, dass sie Covid hat und ich weiss, dass ich mich danach mehrere Wochen alleine isolieren kann, dann gehe ich vielleicht zu ihr und lasse sie mich anhusten.» Der Gesundheitspass sei sehr wichtig. «Ohne ihn können wir die Freuden des Lebens nicht mehr geniessen», so die Philosophiestudentin.
Eine befragte 24-Jährige namens Jennifer will sich nicht unbedingt absichtlich mit dem Virus anstecken lassen. Doch sie «würde es lieber haben und mich unter Quarantäne stellen und mein Immunsystem wissen lassen, wie es die Krankheit auf natürliche Weise besiegen kann.»
«Kompletter Unsinn»
Auch Cerise (19), Erzieherin in einem Pflegeheim für Menschen mit Behinderung, zieht eine Ansteckung einer Impfung vor, trotz Risiko, dass sie schwer erkranken oder Long Covid entwickeln könnte: «Mein Körper wird wie bei jedem anderen Virus versuchen können, sich selbst zu heilen.» Sie sei nicht der Typ, der Angst vor «natürlichen» Dingen habe. «Aber ich habe Angst vor dem Impfstoff, weil er nicht natürlich ist. Antikörper würden in ihrem Alter «sehr gut funktionieren».
In sozialen Medien machen ähnliche Aussagen die Runde, wobei die Fakten offenbar nicht ganz verstanden werden. Eine Infektion ist bekanntlich kein Freipass für eine Zukunft ganz ohne Covid-Risiko. Doch ein User meint auf Twitter: «Ich hätte lieber einmal Covid, als mich bis zu meinem Lebensende alle drei Monate impfen lassen zu müssen.» Andere hätten mit Infizierten in Quarantäne gelebt, aber das Virus einfach nicht bekommen können.
Der französische Epidemiologe Philippe Amouyel bezeichnet Versuche, sich bewusst mit Covid anzustecken, als «kompletten Unsinn». Das «Spiel mit dem Virus» sei nicht so harmlos, sagte Amouyel dem Sender LCI. Er verurteilt den Trend, der auch von gewissen Ärzten befeuert werde, als «Dummheit». Selbst wenn eine Covid-Ansteckung zunächst asymptomatisch verlaufe, sei das Risiko von Spätfolgen nicht zu unterschätzen. (kes)