Auf einen Blick
- Gezielte Sanktionen könnten Russlands Front-Truppen erheblich schwächen
- Russland auf Importe von Chrom und Nitrozellulose angewiesen
- Über 70 Prozent der Maschinen stammen aus China
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine erhebt der Westen immer wieder Sanktionen gegen die Kreml-Führung und russische Oligarchen. Trotz der teils heftigen wirtschaftlichen Einschränkungen führt Machthaber Wladimir Putin (71) den Krieg gegen das Nachbarland unbeirrt weiter.
Nun hat eine neue Studie des britischen Royal United Services Institute (RUSI) und des Open Source Centre (OSC) aber eine grosse Lücke in der russischen Rüstungsproduktion ausgemacht. Die Autoren kamen zum Schluss, dass gezielte Sanktionen in drei Bereichen grosse Auswirkungen auf die militärische Schlagkraft der Russen haben könnten. Ihre These: Raufen sich die westlichen Partner zusammen, könnten sie den Kriegsverlauf entscheidend verändern.
Artillerie-Komponenten als übersehene Sanktionslücke
Besonders der Nachschub an Geschützen sei bei umfassenden Schritten höchst gefährdet, heisst es in dem Bericht. Der Grund: Russland kann die Bestandteile, die es für seine Geschütze braucht, nur begrenzt selbst herstellen. Für die Produktion von Kanonenrohren, Haubitzen und Munition wird Chrom benötigt. Dieses wird zu 55 Prozent importiert. Für die Herstellung von Munition sind mitunter Baumwollfasern nötig. Die Importzahlen des Stoffes sind seit 2022 um 70 Prozent gestiegen. Häufig werden sie aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan und Usbekistan eingeführt.
Diese Schlupflöcher werden in dem Bericht als entscheidender Hebel identifiziert, um der russischen Artillerie, die Kiew erheblich zusetzt, endgültig einen Riegel zu schieben. Da sich sowohl Kasachstan als auch Usbekistan in den letzten Jahren dem Westen angenähert haben, könnten die Unterstützer der Ukraine auf eine Zusammenarbeit im Rahmen von Sanktionen plädieren. «Ein abgestimmtes Vorgehen mit zusätzlichen Ressourcen für Durchsetzung und Unterbrechung der Lieferungen hätte eine grosse Erfolgschance», so die Studie.
Diese Rolle spielt China
Geht es nach den Autoren, besteht weiteres Sanktionspotenzial.«Mehr als 70 Prozent der russischen, computergesteuerten Maschinen kommen aus China.» Diese Maschinen werden für die Produktion von Haubitzen und Munition eingesetzt. «Es gibt 36 chinesische Unternehmen unter den wichtigsten Lieferanten westlicher Maschinen für Russland im Jahr 2023 und im ersten Quartal von 2024», fand die Untersuchung heraus. Deshalb könnte eine pro-ukrainische Allianz versuchen, den Vertrieb der erwähnten Maschinen einzudämmen.
Die Störung der Chrom- und Baumwolllieferungen sollte laut den Verfassern jedoch Priorität geniessen. Können die im Bericht identifizierten Schwachstellen über längere Zeit erfolgreich gestört werden, werde es Russland schwerfallen, seinen Bedarf an Artilleriemunition und Geschützrohren langfristig zu decken, prognostizieren die Autoren.