Genauer Ort und Zeitpunkt der Vorfälle sind nicht bestätigt. Doch sicher ist: Die brutalen Szenen haben sich unter dem Regime der Taliban ereignet, die seit der Machtübernahme Mitte August in Afghanistan wieder zu ihrer mittelalterlichen Scharia-Rechtssprechung greifen – das am helllichten Tag, mitten auf der Strasse, vor den Augen aller. Dabei strafen die neuen alten Machthaber auch Frauen öffentlich. Dies nach Beteuerungen, fairer und gerechter als früher zu regieren.
Im arabischen und islamischen Raum sind ähnliche barbarische Szenen bekannt, so im Iran und in Saudi-Arabien, wo Menschen teils sogar öffentlich hingerichtet werden. Auch unter dem ersten Regime der Taliban von 1996 bis 2001 wurden Scharia-Brecher öffentlich exekutiert, darunter im Fussballstadion von Kabul.
Öffentliche Hinrichtungen sind seit der Rückeroberung Afghanistans durch die Radikalislamisten noch keine dokumentiert. Doch in diesen Tagen sind gleich mehrere Menschen auf offener Strasse von Taliban-Schergen ausgepeitscht worden. Darunter zwei Frauen und ein Mann.
«Leben unter der Peitsche der Taliban»
Der afghanische Journalist Akram Gizabi postet auf Twitter ein Video, wie eine Demonstrantin in Kabul von einem Taliban gepeitscht wird. Dazu sein Kommentar: «Das ist das neue Afghanistan, ein Leben unter der Peitsche der Taliban. Vor 25 Jahren erlebten die Menschen die gleiche Behandlung mit Fleisch und Knochen. Dank des Missgeschicks der USA und der Nato sehen sie sich dem gleichen Schrecken gegenüber.»
Ahmad Shah Mohibi, ein früherer Berater der US-Besatzer, zeigt auf Twitter Szenen, wie eine Frau vor umstehenden Taliban ausgepeitscht wird. Dazu seine Worte: «Afghanische Frau schreit vor Taliban, die sie in der Öffentlichkeit auspeitschen.» Die ganze Welt könne das wahre Gesicht der Taliban und ihre Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen sehen.
Mohibi teilt auf Twitter eine weitere Strassenszene in Kabul. Der für die «New York Times», BBC und andere westliche Medien berichtende Journalist Sulaiman Hakemy hat sie gefilmt. Ein Mann ist mit einer Eisenstange an ein Verkehrsschild gekettet.
Brutale Vergeltungsjustiz
Der Mann schreit und windet sich unter den Schlägen seiner Peiniger. Er will sich losreissen, bricht zusammen. Und wird wieder hochgezerrt. Und ausgepeitscht. Auch Umstehende treten ihn und schlagen auf ihn ein. In der Menge ist Gelächter zu hören. Jemand muss das Verkehrsschild festhalten. Ein Taliban mit Turban hält die Eisenstange, damit der Peiniger das Opfer besser peitschen kann.
Bei dem öffentlich Gefolterten soll es sich um einen Dieb handeln. Er habe ein Handy gestohlen. Die islamische Scharia sieht für Vergehen eine Vergeltungsjustiz mit drakonischen Körperstrafen vor: Auspeitschen, aber auch Amputationen und Steinigungen.
Das öffentliche Vollziehen der Strafen soll das Opfer nicht nur strafen und demütigen. Solche Szenen gelten im streng-islamischen Raum auch als Unterhaltung – und dienen der Abschreckung.