Johnson gerät unter Zeitdruck
Bercow stoppt erneute Abstimmung über Brexit-Deal

Die Entscheidung des britischen Unterhauses über den neuen Brexit-Deal von Premierminister Boris Johnson verzögert sich weiter. Parlamentspräsident John Bercow liess eine Abstimmung im Unterhaus in London am Montag nicht zu.
Publiziert: 21.10.2019 um 16:48 Uhr
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Aktualisiert: 22.10.2019 um 14:59 Uhr
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Der britische Premierminister Boris Johnson steht unter grossem Zeitdruck, da er wiederholt versprochen hat, Grossbritannien am 31. Oktober aus der EU zu führen. (Archiv)
Foto: House of Commons

Er begründete seine Ablehnung damit, dass der Entwurf der Regierung in ihrem Inhalt der gleiche wie der vom Samstag sei. Auch die Umstände hätten sich nicht geändert. «Über den Antrag wird heute nicht debattiert, da dies eine Wiederholung und ordnungswidrig wäre», sagte Bercow.

Aber der Reihe nach. Was ist in der letzten Woche vor der zweiten Verschiebung nochmal passiert? Und was bedeutet das jetzt für den EU-Autritt Grossbritanniens?

1. Endlich gibt es einen Deal

Vor wenigen Tagen hatten Brüssel und London einen geänderten Austrittsvertrag ausgehandelt. Neu geklärt wurde die Frage, wie die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland auch nach dem Brexit offen bleiben kann. Zudem vereinbarte Johnson mit der EU in einer politischen Erklärung, dass es auf längere Sicht nur eine lose Bindung seines Landes an die EU geben soll.

2. Abgeordnete verschieben Abstimmung über Johnsons Deal

Das Unterhaus sollte eigentlich schon am vergangenen Samstag (19. Oktober) in einer Sondersitzung über den Brexit-Deal abstimmen. Die Abgeordneten votierten aber dann dafür, die Entscheidung über das Abkommen zu verschieben und fügten so Johnson eine empfindliche Niederlage zu. Ziel der Vertagung im Unterhaus war es, einen Chaos-Brexit auszuschliessen.

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3. Premier musste Verlängerung beantragen

Die Folge: Der Premierminister war damit per Gesetz verpflichtet, in Brüssel um eine Verlängerung der Brexit-Frist über den 31. Oktober hinaus zu bitten. Dies tat er - allerdings nur sehr widerwillig und ohne Unterschrift unter dem Antrag. Für die EU spielt das aber keine Rolle: Sie sieht den Antrag auch ohne Unterschrift als gültig an, wie eine EU-Kommissionssprecherin sagte.

4. Kritik an Johnsons Verhalten

Dieses Verhalten Johnsons beschäftigt auch ein Gericht in Schottland: Kritiker werfen ihm vor, den Willen des Parlaments zu torpedieren.

Die Richter in Edinburgh erklärten am Montag, sie wollten vor einer Entscheidung erst beobachten, wie sich die Regierung in London weiter verhalte und ob sie vollends im Einklang mit dem Gesetz handle. Im Zweifel könne es noch immer zu einer Rüge kommen.

5. Gesetz zur Brexit-Ratifizierung muss ebenfalls durchs Parlament

Regierungskreise sprachen von der «Woche der Hölle» im Parlament. Der «Telegraph» zitierte eine nicht näher genannte Regierungsquelle mit den Worten: «Alles steht auf Messers Schneide.»

Denn das Unterhaus sollte auch über das Gesetz zur Ratifizierung beraten. Dazu können Änderungsanträge eingebracht werden, die das Abkommen im Kern verändern würden. Diese Abstimmungen rücken nun nach der Absage für die Abstimmung über den Deal an sich in den Fokus.

Labour wollen zustimmung des Volkes

So wollen Abgeordnete der Labour-Partei und weitere Parlamentarier beschliessen lassen, dass Johnsons Deal dem Volk in einem weiteren Referendum zur Zustimmung vorgelegt werden muss. Unter diesen Umständen könnte sich zumindest ein Teil der Labour-Abgeordneten eine Zustimmung vorstellen.

Mit der EU in einer Zollunion bleiben

Ein anderer erwarteter Änderungsantrag sieht vor, dass ganz Grossbritannien mit dem Rest der EU zumindest für eine Übergangszeit in einer Zollunion bleiben soll. Die Labour-Partei arbeitete an einem parteiübergreifenden Bündnis, das zwar Johnsons Abkommen mit Brüssel unterstützen würde, allerdings unter der Bedingung, dass Grossbritannien eng an die EU angebunden bleibt.

Dies würde vor allem bei Brexit-Hardlinern auf Widerstand treffen, da Grossbritannien dann nicht ohne weiteres Handelsabkommen mit den USA oder anderen Ländern abschliessen könnte - für Befürworter ein Hauptvorteil des Brexit.

Brexit-News

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.

6. EU wartet Entscheide aus London ab - weitere Verschiebungen wären aber möglich

Das EU-Parlament will den Brexit-Vertrag nach den Worten des Grünen-Fraktionschefs Philippe Lamberts erst nach dem britischen Parlament ratifizieren. Das wird aber nicht mehr diese Woche geschehen, wie die Parlamentsspitze am Montagabend in Strassburg beschloss.

Lamberts schloss aber eine Sondersitzung kommende Woche nicht aus, falls vor dem Austrittsdatum 31. Oktober nur noch das Votum des EU-Parlaments fehlen sollte. Auch eine Verschiebung des Brexit-Termins wäre aus seiner Sicht möglich.

Die EU wird nach den Worten von EU-Ratspräsident Donald Tusk alles tun, um einen Brexit ohne Vertrag zu verhindern. «Ein No-Deal-Brexit wird niemals unsere Entscheidung sein», sagte Tusk am Dienstag (22. Oktober) im EU-Parlament in Strassburg. 

Mit Blick auf eine mögliche Verschiebung des britischen EU-Austritts über den 31. Oktober hinaus fügte Tusk später hinzu: «Ohne Zweifel sollten wir den britischen Antrag auf Verlängerung mit aller Ernsthaftigkeit behandeln.»

Tusks ist nach eigenen Worten darüber im Gespräch mit den Staats- und Regierungschefs der 27 bleibenden Länder. Die Entscheidung über einen möglichen Aufschub werde aber erst in den nächsten Tagen fallen. «Dies hängt sehr davon ab, was das Unterhaus entscheidet - oder nicht entscheidet», sagte Tusk.

7. Wie sehen Johnsons Pläne aus?

Premier Johnson steht unter sehr grossem Zeitdruck: Er hat immer wieder versprochen, Grossbritannien am 31. Oktober - also in etwa eineinhalb Wochen - aus der EU zu führen. Wiederholt hatte er auch mit einem Ausstieg ohne Abkommen gedroht.

Im Falle einer ungeregelten Scheidung von der Staatengemeinschaft drohen chaotische Verhältnisse. In Prognosen wird etwa mit Engpässen bei Lebensmitteln und Arzneien sowie mit Protesten gerechnet.

(SDA)

Die komplette Brexit-Chronologie

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seit diesem Zeitpunkt fand zwischen der EU und Grossbritannien aber auch innerhalb des Vereinigten Königreichs ein langwieriger politischer Prozess der Kompromissfindung statt. Mehrere Abgeordnete und sogar Premierminister traten aufgrund der Vertragsverhandlungen zurück. Am 31. Januar 2020 trat Grossbritannien schliesslich aus der EU aus.

BLICK zeigt die wichtigsten Stationen des chaotischen Prozesses seit dem Austrittsvotum der Briten auf.


Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seit diesem Zeitpunkt fand zwischen der EU und Grossbritannien aber auch innerhalb des Vereinigten Königreichs ein langwieriger politischer Prozess der Kompromissfindung statt. Mehrere Abgeordnete und sogar Premierminister traten aufgrund der Vertragsverhandlungen zurück. Am 31. Januar 2020 trat Grossbritannien schliesslich aus der EU aus.

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