Der heimtückische Angriff der Hamas hat Israel kalt erwischt. Am Samstagmorgen erfolgten massive und überraschende Raketenangriffe aus dem Gazastreifen. Die Kämpfe dauern weiterhin an. Es ist der schwerste Angriff auf Israel seit einem halben Jahrhundert. Das Land befindet sich im Kriegszustand.
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Blick: Frau Botschafterin, am Samstag hat die radikalislamische Organisation Hamas Hunderte Raketen auf Israel abgefeuert. Premierminister Benjamin Netanjahu (73) rief daraufhin den Kriegszustand aus. Wie haben Sie auf die Nachricht aus Israel reagiert?
Ifat Reshef: Die Nachrichten, die seit gestern Morgen aus Israel kommen, sind schrecklich. Es sind nicht nur die Tausenden von Raketen und Flugkörpern, die auf Israel abgefeuert wurden. Es ist das wahllose und barbarische Töten von Bürgern in verschiedenen israelischen Gemeinden, die von palästinensischen Terroristen aus dem Gazastreifen infiltriert wurden. Über 600 Tote sind bestätigt, und die Zahl der Opfer steigt weiter an. Angesichts dieser massiven Angriffe von Terroristen auf die Zivilbevölkerung zieht Israel in den Krieg gegen die Terrororganisationen im Gazastreifen. Wir werden tun, was notwendig ist, um das Leben unserer Bürger zu schützen.
Welche Nachrichten hören Sie aus Ihrem Umfeld? Wie geht es Ihren Angehörigen in Israel?
Meiner unmittelbaren Familie geht es gut, aber das Ausmass der gestrigen Massaker ist so gross, dass jeder von uns Israelis jemanden kennt, der ermordet wurde, verletzt ist oder vermisst wird. Ausserdem ist das gesamte israelische Volk in diesem schwierigen Moment in seiner Wut und Trauer vereint. Wir sind eine Familie, die um ihre Toten trauert.
Erste Informationen deuten darauf hin, dass es der heftigste Angriff in der jüngeren israelischen Geschichte sein könnte. Nach Angaben der israelischen Streitkräfte wurden bei den ersten Angriffen rund 2200 Raketen abgefeuert. Warum findet dieser brutale Angriff ausgerechnet jetzt statt?
Die Zahlen steigen weiter an, und wir haben bisher mehr als 3500 Raketen und Flugkörper dokumentiert, die auf Israel abgefeuert wurden. Die Frage nach dem Zeitpunkt dieses völlig nicht provozierten Angriffs sollte an die bösartigen Täter und nicht an Israel gerichtet werden. Ich vermute, dass die Angreifer die internen Debatten, die in den letzten Monaten in Israel über vorgeschlagene Reformen geführt wurden, als Hinweis auf eine wachsende Schwäche missverstanden haben, die sie ausnutzen wollten. Wahrscheinlich versuchten sie auch, die bemerkenswerten Fortschritte in den sich entwickelnden Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten zu sabotieren, die durch das vor drei Jahren unterzeichnete historische Abraham-Abkommen erzielt wurden.
Als wahrscheinliche Erklärung für den Angriff gilt, dass die Hamas die angestrebte Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien torpedieren will. Ist Ihrer Meinung nach eine solche jetzt noch realistisch?
Ich glaube, die Abraham-Abkommen waren ein historischer Durchbruch, der von mutigen arabischen Führern erzielt wurde, die erkannten, dass ihre nationalen Interessen eine Zusammenarbeit und Partnerschaft mit Israel erfordern. Dazu gehört auch, dass sie sich denjenigen entgegenstellen, die versuchen, die Region zu destabilisieren und uns in die Ära der Kriege und der Gewalt zurückzuversetzen – nämlich dem Iran und den von ihm unterstützten Terrororganisationen. Meiner Meinung nach gibt es keinen Weg zurück, und keine friedliebende Nation sollte dem Terrorismus und dem Bösen nachgeben.
Israel hat eine der schlagkräftigsten Armeen weltweit und verfügt über hochgerüstete Geheimdienste. Trotzdem scheint es, als sei man vom Angriff überrascht worden. Einzelne Stimmen in Israel sprechen sogar von einem massiven Versagen der Geheimdienste. Wie erklären Sie sich das?
Es gibt schwerwiegende Fragen zu klären, aber dies ist nicht der Zeitpunkt, Erklärungen zu verlangen. Wir befinden uns gerade mitten im Krieg, suchen immer noch nach Terroristen innerhalb Israels, sorgen dafür, dass alle Gemeinden in unserem Gebiet sicher sind und zählen unsere Toten. Wir müssen jetzt alles tun, um die Sicherheit für alle unsere Bürger wiederherzustellen. Andere wichtige Fragen werden zu einem späteren Zeitpunkt behandelt.
Ifat Reshef (54) ist seit Ende 2021 Israelische Botschafterin in der Schweiz. Aufgewachsen ist sie in der israelischen Küstenstadt Netanja. Nach dem obligatorischen Militärdienst bei den israelischen Streitkräften begann sie ein Jurastudium an der Universität Tel Aviv. Reshef ist eine erfahrene Karrierediplomatin des israelischen Aussenministerium, dem sie 1993 beitrat.
Ifat Reshef (54) ist seit Ende 2021 Israelische Botschafterin in der Schweiz. Aufgewachsen ist sie in der israelischen Küstenstadt Netanja. Nach dem obligatorischen Militärdienst bei den israelischen Streitkräften begann sie ein Jurastudium an der Universität Tel Aviv. Reshef ist eine erfahrene Karrierediplomatin des israelischen Aussenministerium, dem sie 1993 beitrat.
Der Iran und die vom Iran finanzierte Miliz Hisbollah haben der Hamas nach dem Beginn des Angriffs zu einer «heldenhaften Aktion» gratuliert. Welche Botschaft haben Sie an Israels Feinde?
Der Iran und die Hisbollah ermutigen die palästinensischen Terrororganisationen nicht nur dazu, Israel weiterhin von Judäa und Samaria und jetzt auch vom Gazastreifen aus anzugreifen. Sie befeuern diese Angriffe mit Geld, Waffen, Anleitung und natürlich mit ihrer heftigen Aufhetzung gegen Israel. Unsere Feinde sollten sich nicht täuschen. Wir haben einen schweren Schlag erlitten, aber Israel ist stark und wird sich durchsetzen.
Was erwarten Sie von der Schweizer Regierung? Was kann die Schweiz als Mitglied des UN-Sicherheitsrates gegen die Angriffe ausrichten?
Ich erwarte von der Schweiz, dass sie Israel in seinem gerechten Kampf gegen den Terrorismus voll unterstützt. Ich erwarte von der Schweiz als Mitglied des Sicherheitsrates, dass sie von der palästinensischen Autonomiebehörde verlangt, den Terrorismus uneingeschränkt zu verurteilen und Anschläge gegen Israelis nicht mehr durch Aufhetzung, Verherrlichung von Terroristen und Zahlung von Gehältern an deren Familien zu fördern. Dies ergibt sich auch aus dem Engagement der Schweiz für ein sichereres Völkerrecht.