Es ist ein erschütterndes Déjà-vu. Am Sonntagnachmittag versammeln sich Tausende vor dem Regierungsviertel in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia. Ein wütender Mob trampelt die Strassenabsperrungen nieder. Zu Hunderten dringen die radikalen Bolsonaro-Fans ins Kongressgebäude ein. Sie erobern den Plenarsaal, tanzen auf Tischen. Sie steigen aufs Dach, schwenken grün-gelbe Brasilien-Flaggen.
Die Randalierer ziehen weiter zum Obersten Gericht, schliesslich zum Regierungssitz Palacio do Planalto und hinterlassen eine Spur der Verwüstung: eingeschlagene Scheiben, zertrümmertes Mobiliar, zerstörte Kunstwerke.
Sympathisierende Polizisten lassen die Gewalt zu, eskortieren zum Teil die grölende Masse. Das alles vor laufenden TV-Kameras und Smartphones. Erst als die Militärpolizei mit Reiterstaffel, gepanzerten Fahrzeugen und Helikoptern einschreitet und Wasserwerfer, Blendgranaten sowie Tränengas einsetzt, hat der Spuk ein Ende – Stunden später.
Alles erinnert an den Kapitol-Sturm vom 6. Januar 2021
Nicht nur die ungezügelte Gewalt erinnert an den historischen 6. Januar 2021 in Washington. Es sind auch ihre Botschaft und der Zeitpunkt. Wie beim Sturm aufs Kapitol vor fast exakt zwei Jahren wollen auch die Anhänger eines abgewählten brasilianischen Präsidenten die neue Regierung verhindern. Wie die «Trumpisten» glauben auch die Bolsonaro-Fans an den grossen Wahlbetrug. Die Ähnlichkeiten seien kein Zufall, sondern orchestriert mit Hilfe rechtsextremistischer US-Scharfmacher, meinen Beobachter. Der amtierende brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (77) vermute sogar eine Finanzierung der Revolte aus dem Ausland, berichten brasilianische Medien.
So wettert Steve Bannon (69), ehemaliger Chefstratege von Donald Trump (76) unverzüglich nach der Stichwahl am 30. Oktober 2022, bei der Jair Bolsonaro (67) abgewählt wurde: «Lula hat die Wahl gestohlen. Die Brasilianer wissen das.» Der Ultrarechte nennt die Bolsonaro-Demonstranten «Freiheitskämpfer» und ermuntert sie, weiter auf die Strasse zu gehen.
Auch Trump-Aktivist und Gründer der Bewegung «Stop the Steal», Ali Alexander (38), fordert die Brasilianer auf, «alles zu tun, was nötig ist», und betont in seinen Posts seine exzellenten Kontakte in Brasilien. Ein weiterer hochrangiger Trump-Berater, Jason Miller, sammelte auf seiner Social-Media-Plattform Gettr schon im Herbst Gelder für Bolsonaros Wahlkampf.
Enge Kontakte zu Trump und dessen Unterstützern
Jair Bolsonaro selbst hatte nach dem Kapitol-Sturm vor zwei Jahren, einen Putsch im eigenen Land vorausgesagt, sollte er die Wahl verlieren. Als er die Wahl dann verlor, blieb er der Amtsübergabe an Lula da Silva demonstrativ fern. Möglicherweise hat auch Donald Trump seine Finger im Spiel. Im November 2022 jedenfalls reist Bolsonaros dritter Sohn, Eduardo Bolsonaro (38), nach Florida und trifft den ehemaligen US-Präsidenten. Im Anschluss spricht er mit Steve Bannon und Jason Miller. Das berichtet die «Washington Post».
Auch Jair Bolsonaro besucht Trumps Anwesen Mar-a-Lago und wählt Florida als sein Exil nach der Wahlniederlage. Dort verweilt auch der amtierende Sicherheitschef von Brasilia und Bolsonaros ehemaliger Justizminister, Anderson Torres (47), als der rechte Mob das Regierungsviertel in Brasilia stürmt. Mittlerweile wurde Torres abgesetzt.
Er war unter Bolsonaro Justizminister und gilt als Gefolgsmann des Ex-Präsidenten.
Auch der Gouverneur des Bundesbezirks rund um die Hauptstadt wurde vorübergehend seines Amtes enthoben. Ibaneis Rocha (51) werde zunächst für 90 Tage suspendiert, ordnete der Oberste Gerichtshof am frühen Montagmorgen an. Trotz deutlicher Hinweise auf gewalttätige Aktionen habe der Gouverneur nichts unternommen, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, sagte Richter Alexandre de Moraes.
Zuvor hatte Gouverneur Rocha bereits um Entschuldigung gebeten. Bolsonaros militante Anhänger kündigen unterdessen neue Protestaktionen an.