Hannes Loth (42) findet den Weg zur Mitte einfach nicht. «Hier lang!» Doch nicht. Wieder Sackgasse, wieder nix. «Herrgott nochmal.» Entnervt bleibt der erste AfD-Bürgermeister Deutschlands zwischen den Buchenbüschen des Hecken-Labyrinths in seiner Heimatstadt Raguhn-Jessnitz stehen. Ziel war ein Foto im Zentrum des Irrweges. Nach zehn Minuten aber gibt Loth auf, macht rechtsumkehrt und marschiert raus aus dem Labyrinth.
Mit der Mitte tut sich der Landwirt generell schwer. Seine Welt war schon immer rechts aussen. 2013 trat er der neu gegründeten Alternative für Deutschland (AfD) bei. Diesen Mittwoch tritt er sein Amt als Bürgermeister des 9000-Seelen-Städtchens Raguhn-Jessnitz zwei Autostunden südlich von Berlin an. Die Wahl gewann der einstige Geschichts- und Theologiestudent mit rund 100 Stimmen Unterschied gegen einen parteilosen einstigen Volleyball-Kollegen.
Loths Sieg hat in Deutschland für einen Aufschrei gesorgt. Dass ein Kandidat der AfD mehr als die Hälfte einer Stadt auf seine Seite ziehen kann: Ein Schock für die etablierte Politik. Und vielleicht der Start für die rechte Wende, vor der sich alle links der radikalen Rechtspartei so fürchten.
Ideen hat er viele
Die politische Grosswetterlage in Deutschland habe sicher geholfen, sagt Loth. Er trägt einen Kurzhaarschnitt, hat dunkle Augen und ein freundliches Gesicht. «Gewonnen haben wir wegen unserer Basisarbeit vor Ort. Wir haben den Bürgern hier immer zugehört», sagt der Familienvater und Modellflugzeug-Fan. Loths erste Amtshandlung: Er geht mit der Feuerwehr zur Innenministerin hier in Sachsen-Anhalt. «Dann sollen die unseren Leuten mal erklären, wieso sie die geforderte Unterstützung für ihre Arbeit nicht kriegen.»
So geht das: Problem erkannt, angepackt, Lösung präsentiert. Obs dann klappt, wird man sehen. Ideen hätte er viele, der «Hannes von hier». Er will in der Parkanlage neben dem Irrgarten ein Jazzfestival mit der Musikschule organisieren («auch wenn ich Jazz nicht mag»). Er will einen Kanu-Weg auf dem Flüsschen Mulde etablieren («geht leider noch nicht wegen Naturschutz»). Und er verspricht, die Schulen und Kitas im Ort zu erhalten («damit mehr Menschen herkommen»).
Denn Menschen, die braucht Deutschlands rechtester Bürgermeister dringend. Gefühlt die Hälfte der Ladenlokale im Ort stehen leer. In den Gassen zwischen den herausgeputzten Fassaden herrscht gespenstische Stille. Idyllisch und ein bisschen tragisch. Die vier Coiffeursalons an der Hauptstrasse warten vergeblich auf Kundschaft. Der Parkplatz vor dem Supermarkt ist verwaist. Und die Servierdame in der Gaststätte zum Bootshaus ist derart unfreundlich, dass man sich ob all der leeren Tische in der Schnitzel-Beiz nicht wundert.
Seine Wahl weckt Ängste
Drüben vor der in die Jahre gekommenen Filiale der Bäckerei Achtert ist mehr los. AfD-Wähler Werner Mentzel (71) holt zwei Crème-schnitten, «48. Hochzeitstag», strahlt der Rentner. Den Loth habe er gewählt, der soll jetzt mal für «Ordnung und Sauberkeit sorgen hier», sagte Mentzel, «endlich mal Nägel mit Köpfen machen».
Das mit der Ordnung sieht Jäger Reinhard Kunzer (73) genauso, auch wenn die Blick-Reporter «all den Dreck in den Strassen hier in Raguhn» beim besten Willen nicht finden können. «Als Deutscher muss man einen Standpunkt haben dürfen», ruft Kunzer und klopft sich auf die Jägerbrust. «Aber AfD? Niemals!»
Genauso sieht das Gudrun Dietsch (71), die kopfschüttelnd einen Hooligan-Kleber von der Infotafel wegkratzt. «Ängste weckt seine Wahl in mir», sagt die Stadträtin. Seit 25 Jahren kenne sie «den Hannes». War mal der Freund der Tochter. Feiner Kerl. «Aber was in dem tief drinnen vorgeht…» Dietsch verdreht die Augen. «Das hatten wir ja schon einmal, eine solide und harmlos wirkende Partei, die an die Macht kam und das Land an den Abgrund führte.» Brauche man nicht nochmal.
Viviene (18) ist Verkäuferin im Eiscafé Globig, wo Hannes Loth sich an guten Tagen manchmal eine Kugel Amadeus-Eis holt. Erst vor kurzem zog sie von Basel zurück in die Heimat nach Raguhn-Jessnitz. Lebhafter dürfte es schon sein, erzählt sie. Und «die vielen abgesunkenen Gullideckel auf der Strasse», das könnte man vielleicht mal angehen. Jetzt müsse man abwarten und schauen, was der könne, der erste AfD-Bürgermeister Deutschlands.
Loths Furcht vor der neuen Gedenktafel
Der steht drüben auf einer gedeckten Bühne neben dem Irrgarten. Es regnet in Strömen. Loth raucht eine. Erzählt von den Brandmauern, die die anderen Parteien errichten wollen («gibt’s auf der kommunalen Ebene gar nicht») und vom Bootsführerschein, den er dann bald machen will.
Und die grossen Themen seiner Partei? Stopp der Sanktionen gegen Russland, zum Beispiel? «Sehe ich genauso», sagt Loth. «Der Russe hat die Atomwaffe. Deutschland kann zum Kriegsziel werden. Ich will nicht den vaterländischen Tod sterben.» Es gäbe schon zwei Gedenktafeln für die Opfer der Weltkriege in der Kirche hier. «Ich will als Bürgermeister keine Dritte einweihen müssen.»
Erst muss er am Mittwoch im Rathaus seine offizielle Urkunde abholen. Feiern? «Nee, keine Lust», sagt Loth. Gibt noch viel zu tun in Raguhn. Und dann ist da ja noch ganz Deutschland, das zuschaut, wie sich der allererste AfD-Bürgermeister schlägt. Deshalb erstmal anpacken jetzt.