«Bilanz des Schreckens»
Missbrauchs-Gutachten belastet Papst Benedikt schwer

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist in einem neuen Gutachten zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising schwer belastet worden. Er streitet alles ab.
Publiziert: 20.01.2022 um 12:55 Uhr
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Aktualisiert: 20.01.2022 um 17:55 Uhr
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Schwere Vorwürfe gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI.
Foto: imago images/Sven Simon

Ein Gutachten lastet dem emeritierten Papst Benedikt XVI. (94) Fehlverhalten im Umgang mit vier Fällen von sexuellem Missbrauch während seiner Zeit als Erzbischof des Bistums München und Freising an.

Das sagte der Jurist Martin Pusch am Donnerstag bei der Vorstellung des vom Erzbistum in Auftrag gegebenen Gutachtens in München. In allen Fällen habe Benedikt - damals Kardinal Joseph Ratzinger - ein Fehlverhalten strikt zurückgewiesen.

Der emeritierte Papst war von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising. Er habe umfangreich Stellung zu den Vorwürfen genommen, betonte Pusch. Dies sei im Wortlaut-Teil des Gutachtens enthalten.

Ein Priester wurde immer wieder rückfällig

Kritiker werfen Ratzinger schon seit geraumer Zeit Fehlverhalten vor – konkret beim Umgang mit dem Priester aus Nordrhein-Westfalen. Der Mann soll vielfach Jungen missbraucht haben. Er wurde zur Amtszeit Ratzingers nach Bayern versetzt, wo er rechtskräftig wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde und immer wieder rückfällig geworden sein soll.

Allein dieser Fall macht 370 Seiten des insgesamt mehr als 1700 Seiten starken, vom heutigen Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, in Auftrag gegebenen Gutachtens aus. Marx, einem engen Vertrauten von Papst Franziskus, wirf das Gutachten Fehlverhalten im Umgang mit zwei Verdachtsfällen von sexuellem Missbrauch vor. Es gehe dabei um Meldungen an die Glaubenskongregation in Rom.

Anwalt spricht von einer «Bilanz des Schreckens»

Auch Ratzingers Nachfolger als Münchner Erzbischof, Kardinal Friedrich Wetter, wirft das Gutachten, das den Zeitraum zwischen 1945 und 2019 untersucht hat, Fehlverhalten vor: in 21 Fällen. Wetter habe die Fälle zwar nicht bestritten, ein Fehlverhalten seinerseits aber schon, sagte Pusch. Sein Kollege, der Anwalt Ulrich Wastl, sprach von einer «Bilanz des Schreckens».

Die Studie listet mindestens 497 Opfer auf. Dabei handele es sich überwiegend um männliche Kinder und Jugendliche, die in den Jahrzehnten des Untersuchungszeitraums zu Opfern wurden, teilte die Kanzlei mit. Mindestens 235 mutmassliche Täter gab es laut der Studie – darunter 173 Priester und 9 Diakone. Allerdings sei dies nur das sogenannte Hellfeld. Es sei von einer deutlich grösseren Dunkelziffer auszugehen.

Keine Veränderungen selbst in jüngster Zeit

Das Gutachten kommt auch zu dem Schluss, dass viele Priester und Diakone auch nach Bekanntwerden entsprechender Vorwürfe weiter eingesetzt worden seien. 40 Kleriker seien ungeachtet dessen wieder in der Seelsorge tätig gewesen beziehungsweise dies sei geduldet worden. Bei 18 davon erfolgte dies sogar nach «einschlägiger Verurteilung», wie Rechtsanwalt Martin Pusch sagte. Insgesamt seien bei 43 Klerikern «gebotene Massnahmen mit Sanktionscharakter» unterblieben.

Insgesamt stellt das neue Gutachten der katholischen Diözese ein schlechtes Zeugnis aus. Auch in jüngster Zeit habe kein «Paradigmenwechsel» mit dem Fokus auf die Betroffenen stattgefunden, sagte Pusch. «Bis in die jüngste Vergangenheit und teils auch heute noch begegnen Geschädigte Hürden.»

Vatikan will Details prüfen

In den kommenden Tagen will der Vatikan das Missbrauchsgutachten einsehen. Man werde angemessen die Details prüfen, sagte der Sprecher des Heiligen Stuhls, Matteo Bruni, am Donnerstag. «Im Bekräftigen des Gefühls der Schande und der Reue für den von Geistlichen begangenen Missbrauch an Minderjährigen, sichert der Heilige Stuhl allen Opfern seine Nähe zu und bestätigt den eingeschlagenen Weg für den Schutz der Kleinsten, indem ihnen ein sicheres Umfeld garantiert wird», hiess es weiter.

Der 1927 geborene Ratzinger war von 1977 an fünf Jahre lang Erzbischof von München und Freising. 1982 machte ihn Papst Johannes Paul II. zum Chef der mächtigen Glaubenskongregation, der Nachfolgerin der Römischen Inquisition. Nach dem Tod Johannes Pauls 2005 wählte in das Konklave zum Pontifex. Im Februar 2013 trat er überraschend zurück. Er lebt seither zurückgezogen im Vatikan. (SDA)

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