Die US-Militärführung hat ein Scheitern in Afghanistan eingeräumt und zugleich Meinungsverschiedenheiten mit Präsident Joe Biden (78) offengelegt. US-Generalstabschef Mark Milley (63) sagte am Dienstag bei einer Senatsanhörung, er sei für eine fortdauernde Militärpräsenz von 2500 US-Soldaten am Hindukusch gewesen.
Auch der Chef des Zentralkommandos der US-Streitkräfte, General Kenneth McKenzie, sagte: «Ich habe empfohlen, dass wir 2500 Soldaten in Afghanistan lassen.» Biden ordnete dagegen einen vollständigen Truppenabzug an.
Er sagte in einem Interview mit dem Sender ABC Mitte August: «Niemand», an den er sich «erinnern kann», habe ihm geraten, noch 2500 Soldaten zur Absicherung in Afghanistan zu belassen.
«Strategisches Scheitern» in Afghanistan
Milley betonte gleichwohl, das «strategische Scheitern» in Afghanistan sei letztlich die Folge von Entscheidungen über 20 Jahre gewesen. «Es ist klar, es ist offensichtlich, dass der Krieg in Afghanistan nicht so endete, wie wir das wollten», räumte Milley vor dem Streitkräfte-Ausschuss des US-Senats ein.
Der oberste US-General verwies dabei auf die Rückkehr der radikalislamischen Taliban an die Macht: «Der Ausgang ist ein strategisches Scheitern, der Feind ist in Kabul an der Macht, es gibt keine andere Art, das zu beschreiben.» Auf die Frage eines Senators, ob der chaotische Truppenabzug aus Afghanistan der Glaubwürdigkeit der USA geschadet habe, sagte Milley: «Ich denke, ‹Schaden› ist ein Wort, das verwendet werden könnte, ja.»
Verteidigungsminister Lloyd Austin (68) räumte bei der Senatsanhörung schwerwiegende Fehleinschätzungen in Afghanistan ein. «Die Tatsache, dass die afghanische Armee, die wir und unsere Partner ausgebildet haben, einfach wegschmelzen würde – in manchen Fällen, ohne einen Schuss abzugeben – hat uns alle überrascht», sagte der Pentagon-Chef.
«Es wäre unehrlich, etwas anderes zu behaupten.» Die USA hätten unter anderem das Ausmass der Korruption in der Führung der afghanischen Streitkräfte unterschätzt.
Ablauf des chaotischen Abzugs
Biden hatte im April einen vollständigen Abzug aus Afghanistan bis zum 11. September angeordnet, dem 20. Jahrestag der Terroranschläge von 9/11, in deren Folge die USA 2001 am Hindukusch einmarschiert waren. Später wurde die Frist auf Ende August vorgezogen. Biden argumentierte unter anderem, der mit 20 Jahren längste Krieg der US-Geschichte müsse endlich enden.
Inmitten des US-Truppenabzugs rissen aber die Taliban Mitte August die Macht in Afghanistan wieder an sich. Die USA und ihre Verbündeten versuchten in einer dramatischen Rettungsaktion, ihre Staatsangehörigen und afghanische Ortskräfte ausser Landes zu bringen. Zahlreiche Menschen blieben aber nach dem Abschluss des Militäreinsatzes Ende August in dem Land zurück.
Überschattet wurde die Evakuierungsmission zudem von einem Selbstmordanschlag in Kabul, bei dem unter anderem 13 US-Soldaten getötet wurden. Der Afghanistan-Abzug wurde damit für Präsident Biden zur grössten Krise seiner bisherigen Amtszeit.
Warnung vor Terror-Angriff in den USA
US-Generalstabschef Milley warnte am Dienstag vor dem US-Senat, es müsse verhindert werden, dass künftig wieder von Afghanistan aus Anschläge gegen die USA geplant würden. Die Taliban «waren und sind eine terroristische Organisation, und sie haben immer noch nicht ihre Verbindungen zu Al-Kaida gekappt». Es sei eine «sehr reale Möglichkeit», dass Al-Kaida oder die Dschihadistenmiliz Islamischer Schlag (IS) die USA angreifen wollten. (AFP/euc)